Anzeige

Jugendstudie 2024 Ein Psychologe erklärt: Deshalb ticken junge Menschen so konservativ

Abiball 2024  in Springe bei Hannover: Wieviel Biedermeier steckt in der "Generation Z"?
Abiball 2024  in Springe bei Hannover: Wieviel Biedermeier steckt in der "Generation Z"?
© Moritz Frankenberg/ / Picture Alliance
Die "Generation Z" ist frustriert und rutscht politisch nach rechts. Das zeigt die neue Studie "Jugend in Deutschland". Woran das liegt? Der Kölner Psychologe Stephan Grünewald klärt auf – und fordert ein Pflichtjahr.  

Herr Grünewald, früher hieß es: "Wer als 20-Jähriger kein Linker ist, hat kein Herz. Wer mit 40 immer noch ein Linker ist, hat keinen Verstand." Schmarrn? Oder ist da etwas Wahres dran?

Das ist ein Spruch aus den 70er Jahren, der die heutige Lebensrealität der Jugendlichen überhaupt nicht mehr trifft.

Laut der neuen Jugendstudie 2024 ticken die jungen Leute heute eher rechts. 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen würden gar die AfD wählen – 13 Prozentpunkte mehr als vor zwei Jahren. Was ist los mit der "Generation Z"?

Klar, es ist ein solcher Zuwachs zu konstatieren. Aber man sollte nicht so tun, als tendiere die gesamte "Generation Z" nach rechts. Wir unterscheiden in unseren Studien lieber zwischen verschiedenen Erwartungstypen. Der Typus des engagierten Optimisten ist transformationsfreudig und setzt sich für eine bessere Zukunft ein; dieser Typus ist seit dem letzten Jahr stark zurückgegangen. Der andere ist der enttäuschte Radikale; dessen Anzahl ist gestiegen - wie in der Gesamtgesellschaft.

Stephan Grünewald ist Diplom-Psychologe, Mitbegründer des Kölner Rheingold-Instituts und Bestsellerautor.

Zur Person

Stephan Grünewald, 63, ist Diplom-Psychologe, Therapeut und Mitbegründer des Kölner Rheingold-Instituts. Dort werden jährlich mehr als 5000 Tiefeninterviews zu aktuellen Fragen aus Markt, Medien und Gesellschaft geführt. Grünewalds Buch "Deutschland auf der Couch" wurde sein erster Bestseller. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. 

Wie gefährlich ist dieser Trend für eine liberal aufgestellte Gesellschaft?

Uns sollte bei der Jugendstudie vor allem zu bedenken geben, wie erschöpft die jungen Menschen sind. Welch resignative Haltung sie an den Tag legen. Die Krisen der letzten Jahre – Klima, Corona und Krieg – haben ihre Wirklichkeit zum Teil auf den Kopf gestellt. Dieser Umstand hat sie viel mehr getroffen als uns Erwachsene.   

Rechnet man die Werte für CDU-, FDP- und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hinzu, fühlt sich die Mehrheit der "Generation Z" in dieser schwieriger Lage offenbar im rechts-konservativen Spektrum am sichersten. Warum?

Bei der letzten Wahl verlief die Polarisierung unter den jungen Leuten noch zwischen den Anhängern der Grünen und den der FDP. Beide Parteien sind nun Mitglieder der Ampel, die durch das ständige Gezänk sehr stark Vertrauen verspielt hat. Und: Die heutige Jugendgeneration rebelliert nicht mehr wie in den 70er Jahren per se gegen das Establishment, das ja auch nicht mehr bürgerlich-konservativ ist, sondern eher linksliberal. Sie fühlt sich von Eltern und Lehrern auch nicht mehr autoritär eingeengt, sondern eher solidarisch begleitet.

Wovor hat die "Generation Z" am meisten Angst?

Ihre Grundangst, die sich schon in den Kindertagen entwickelt, resultiert aus der Erfahrung, dass überall im Freundeskreis Familien auseinanderbrechen und Patchwork-Verhältnisse entstehen: alleinerziehende Mütter, desertierende Väter. Dieses Damoklesschwert überschattet ihr Kinder- und Jugendalter. Es führt dazu, dass viele junge Leute den Auftrag verspüren, das familiäre System zu stabilisieren, statt zu revoltieren. Sie versuchen, mit ihrer sozialen Kleindiplomatie den Familienladen zusammenzuhalten. 

Die Weltkrisen spielen also keine so große Rolle?

Auch. Noch vor wenigen Jahren dachten die jungen Menschen, mit dem Smartphone stehe ihnen die ganze Welt offen. Es schien, als könne man im Handstreich oder per Knopfdruck alles kontrollieren oder managen. Dann kam das Corona-Virus und aus der gefühlten Allmacht wurde eine tiefe Ohnmacht, da man von einem unsichtbaren Feind umgeben war, gegen den es keine Handhabe gab. Und dann kam der Ukrainekrieg, der ihre Furcht vor dem Zerbrechen vermeintlich stabiler Verhältnisse weiter verstärkte.

Wer in Berlin regiert, ist weniger entscheidend?

Auch der Dauerzank der Ampelkoalition triggert bei der jungen Generation die Angst, das auch das Bindungssystem von Vater Staat zerbrechen könnte. Die AfD bedient dann die Sehnsucht nach einer erlösenden Rückkehr in die vermeintliche Stabilität früherer Zeiten, nach klaren Schuldzuweisungen und nach einer umkümmerter Unbekümmertheit schamlos.

Die Jungen wollen andererseits weniger arbeiten, mehr Freizeit, mehr Zeit für Freunde.

Sie wollen weniger arbeiten, weil sie oft sehen, wie ihre Eltern unentwegt das Hamsterrad drehen. In diese besinnungslose Betriebsamkeit wollen sie keineswegs hineingeraten. Gleichzeitig ist für die Jungen das Privatleben viel anstrengender geworden. Es gibt für sie keine klaren Rollenzuweisungen mehr. Diese Diffusion erfordert ständig neue Rollenverhandlungen in den Beziehungen, was enorm viel Zeit und Energie frisst. Auch hier verheißt die AfD eine Rolle rückwärts in alte Rollenmuster.

Nur noch 18 Prozent der befragten Jungen stehen den Grünen nahe. Lässt sich mit so wenig Sinn für Umweltthemen die notwendige Transformation Richtung Klimaneutralität überhaupt schaffen?

Die Jugendlichen befinden sich gerade nicht in Aufbruchs-, sondern in Endzeitstimmung. Psychologisch betrachtet sind wir nicht in einer Zeitenwende, sondern in einer Nachspielzeit. Wir versuchen noch ein paar Jahre, die Verhältnisse, wie sie einmal waren, irgendwie zu stabilisieren. Bei den Jugendlichen führt das zum Teil zu einer Art Vorruhestandsattitüde. Sie gehen auf Reisen oder beantragen mit 20 Jahren das erste Sabbatical. Sie brauchen aber dringend wieder eine Idee von einer besseren Welt, die leider im Moment nirgends am Horizont auftaucht.

Wie kommt die "Generation Z" dennoch aus der Depression heraus?

Es findet sich kein Königsweg. In den Lockdown-Phasen sind viele Jugendliche zum Nesthocker geworden und haben sich in den Schoß der Familie zurückgezogen. Manche tun sich immer noch schwer da wieder rauszufinden. Andere  sind vor dem Strukturverlust, den die Coronazeit mitbrachte, eskapistisch ins Internet geflüchtet, um in den sozialen Netzwerken Halt zu finden oder sich in medialen Rauschzuständen abzulenken. Die kommen natürlich etwa über Tiktok viel schneller mit der AfD in Berührung, weil die Rechten sie dort sehr geschickt vereinnahmen. Viele Jugendliche sind auch jenseits der sozialen Netzwerke meist nur in ihrem spezifischen Milieu unterwegs. Daraus erwächst Weltfremdheit und somit Fremdenangst, was wiederum der AfD in die Karten spielen kann.

Gibt es also kein Patentrezept für neue Zuversicht und Lebensfreude?

Ich plädiere für ein soziales Pflichtjahr, durch das man seine engen Kreise verlässt und wieder mit fremden Menschen aus völlig anderen Milieus zusammenkommt und in sinnvollen Projekten gemeinsam etwas bewegt. Das macht toleranter und die jungen Menschen erleben sich als selbstwirksam und wehren damit ihre Angst vor der Ohnmacht ab. Zudem leisten sie einen Beitrag, dass die Welt nicht weiter auseinanderdriftet, indem sie mit anderen Menschen ins Gespräch kommen. 

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel