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Attacke in Dresden Gewalt darf nicht das neue Normal werden: Was jetzt nötig ist

Matthias Ecke ist Europaabgeordneter der SPD
Matthias Ecke (Archivbild) liegt nach einer Attacke in Dresden im Krankenhaus
© Imago Images
Der Überfall auf einen Abgeordneten in Dresden zeigt, wie die Stimmung im Superwahljahr gefährlich eskaliert. Das muss uns alle angehen.

Der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl liegt im Krankenhaus. Matthias Ecke und einige grüne Parteimitglieder wurden am späten Freitagabend beim Plakatieren in einem bürgerlichen Stadtbezirk von Dresden angegriffen. Weil der Sozialdemokrat Knochenbrüche im Gesichtsbereich erlitt, muss er operiert werden. Auch ein grünes Parteimitglied wurde verletzt.

Natürlich ist die Empörung groß, von der SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faser bis zum AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Das Internet quoll am Wochenende über vor Solidaritätsbekundungen. 

Doch egal wie wichtig das Entsetzen im Einzelfall auch sein mag: Es reicht nicht. Es reicht ebenso wenig wie die ebenso erwartbaren Appelle an Polizei, Sicherheitsbehörden und Justiz, endlich entschlossener durchzugreifen. 

Angriff auf Matthias Ecke kein Novum

Denn das, was in Dresden geschah, geschieht seit Jahren in Deutschland. Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten, aber auch engagierte Bürgerinnen und Bürger werden Ziel von Attacken im Netz, auf der Straße oder gar im eigenen Heim. Und dies immer öfter.

Matthias Ecke
Der SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke liegt nach einem Angriff schwer verletzt im Krankenhaus. 
© Matthias Rietschel / Reuters

Die Angriffe auf Wahlkreisbüros häufen sich, das Abreißen von Plakaten ist zum Volkssport geworden und zuletzt wurde das Haus eines Kommunalpolitikers in Thüringen angezündet. Es trifft inzwischen alle Parteien, bevorzugt Grüne, Linke und AfD, aber auch zunehmend SPD, CDU und FDP. 

Auch die Privatsphäre ist kein Tabu mehr. Sei es, dass die Urlaubsfähre des grünen Vizekanzlers Robert Habeck blockiert, der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer an seinem Ferienhaus heimgesucht oder ein Mahnmal neben dem Garten von AfD-Rechtsaußen Björn Höcke errichtet wird: Die Bedrohung richtet sich nicht mehr bloß gegen die Politiker, sondern auch gegen deren Familien.

Ja, politische Gewalt und Extremismus gab es immer. Doch sie ist in den vergangenen Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen – und dies mit drastischen Folgen. 2015 wurde die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Rieker mit einem Messer schwer verletzt, 2019 starb der Kassler Regierungspräsident Walter Lübcke durch einen Kopfschuss.

Nichts erscheint mehr gewiss

Die Ursachen sind vielfältig. In einer immer komplexeren und schneller verändernden Welt verroht das Internet die Kommunikation, sinkt die Bindungskraft tradierter Milieus und stapeln sich die Krisenlagen übereinander. Während die Pandemie längst nicht aufgearbeitet ist, löst der Krieg in der Ukraine existenzielle Angst aus.

Alle fühlen, das sich etwas im Umbruch befindet, global, aber auch im Stadtbezirk, auf dem Dorf und in der eigenen Familie. Nichts erscheint mehr gewiss, der Frieden, der Wohlstand, die Demokratie – und die Sicherheit.

Gewöhnliche Gewaltkriminalität, die sich auf dem höchsten Stand seit 2007 befindet, ist die eine Ebene. Die andere ist die politische Gewalt, die auch neue Rekordwerte erreicht hat und deren Statistik nicht annähend abbildet, was tatsächlich geschieht. Parallel dazu werden zunehmend Plätze und Straßen von extremistischen Organisationen in den verschiedensten Varianten gekapert. Sind es in den Großstädten eher Islamisten und Linksextremisten, dominieren in Kleinstädten und auf dem Land die Rechtsextremisten.

Dresden ist überall

Der Befund ist eindeutig: Der öffentliche Raum, jener Ort, in dem die offene Gesellschaft ihre Kompromisse aushandelt, befindet sich in Gefahr. Das muss in dieser Dramatik ausgesprochen werden. Dresden ist kein Einzelfall. Dresden ist überall.

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Was tun? Neben dem, was offensichtlich ist, von den zwingend nötigen Schutzmaßnahmen bis zur konsequenten Strafverfolgung, müssen alle, die diese gesellschaftliche Debatte formen und bestimmen, endlich rhetorisch deeskalieren. Die Enthemmung der sozialen Netzwerke hat längst die Wahlkampfreden erreicht, nicht nur bei der AfD oder anderen extremen Parteien.

Dass Demagogie zu Hass führt und schließlich Extremismus gebiert, ist eine uralte Erkenntnis, die zum Beispiel gerade auch an US-Universitäten belegt wird. Sie muss endlich ernst genommen werden. Gewalt darf nicht das neue deutsche Normal werden.

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