Bei den einen Glück und Freude. Bei den anderen Trauer und Enttäuschung. Es gibt dieses Bild, geschossen vom englischen Fotografen Paul Childs, auf dem im Grunde das Fazit dieser 120 Minuten plus Elfmeterschießen zu sehen ist. Childs hat den Moment nach dem entscheidenden Elfmeter festgehalten. Die Niederländer in Orange schauen zu Boden oder zum Himmel, die Hände in der Hüfte oder auf den Oberschenkeln. Manche sinken auf die Knie. Die Argentinier in Hellblau-Weiß wissen dagegen gar nicht wohin mit ihrer Energie. Sie jubeln. Aber sie laufen dafür nicht nach vorne zu ihrem Torwart und Siegschützen, erst drehen sie sich in Richtung der Verlierer. Sie ballen ihre Fäuste. Der Innenverteidiger Nicolás Otamendi hält sich die Hände an die Ohren: Na, was sagt ihr jetzt?

Es ging auch nach dieser Szene weiter. Die Emotionen außer Kontrolle. Spieler wären aufeinander losgegangen, hätte man sie nicht zurückgehalten. Der argentinische Torwartheld Emiliano Martínez lief oberkörperfrei zum gegnerischen Trainerstab um Louis van Gaal und bedeutete mit seiner Hand, der solle nun die Klappe halten. Und dazu sagte er auch noch ein bisschen was. Wer dieses epische Viertelfinale gesehen hat, den Elfmetersieg Argentiniens über die Niederlande, wird das nicht so schnell vergessen. Vielleicht hätte man zur Beruhigung wie die Spieler anschließend in ein Kaltwasserbecken steigen müssen. Es war sicher eines der wildesten Spiele der WM-Historie.

Langweilig wird einem mit den Argentiniern sowieso nie. Sie bringen Fußballkultur nach Katar. Die Fans kamen wieder zu Zehntausenden, sie machten das Spiel im Lusail-Stadion zu einem Heimspiel, die Fans aus den Niederlanden waren nur einzelne orange Tupfer. Es begann, was man eine Prozession nennen kann.

"Meeessi, Meeessi, Meeessi"

Zehn Mann rackerten sich für Argentinien ab; und einer wartete auf den großen Moment: Lionel Messi. Der Wert Messis ist nicht durch Laufleistung zu messen, er bringt dafür Ideelles mit. An Messi glauben sie, die Fans huldigten ihm, "Meeessi, Meeessi, Meeessi". Manchmal machten sie bei diesen Gesängen noch ein paar Verbeugungen mit nach vorn gestreckten Armen. Argentinien ist zehn Spieler plus Messi. Die anderen halten ihm den Rücken frei, damit er Großes schaffen kann. Und alle sind fein damit. Nun, Jesus hatte nur zwei Jünger mehr.

Nach 35 Minuten war dieser eine Moment gekommen, den die Niederländer unbedingt verhindern wollten. Der sonst gute Sechser Frenkie de Jong (der eigentlich ein Offensiver ist) ließ sich 30 Meter vor dem Tor von Messi täuschen und machte die Mitte auf. Gegen den nächsten Verteidiger verzögerte Messi perfekt, wodurch sich ein Raum öffnete für den perfekten Pass nach vorne, durch die Beine des Gegenspielers. Alles an dieser Vorlage war perfekt. Auf dieser Welt gibt es aktuell keinen Zweiten, der sie so hingebracht hätte. 1:0. Auf der Tribüne sangen und wedelten die Gläubigen.

Ansonsten blieb die erste Hälfte noch recht entspannt. Das lag auch an den Niederländern. Argentinien war dominanter, besser. Aber die Mannschaft von Louis van Gaal hatte die Ruhe weg. Sie verteidigte vor allem, aber das tat sie diszipliniert. So kann es aussehen, wenn bei zwei Mannschaften jeder weiß, was er zu tun hat. Ganz anders als zum Beispiel beim deutschen Hühnerhaufen.

In der zweiten Hälfte brodelte das Spiel zunehmend, bis es eruptierte wie ein Vulkan. Ein Wunder, dass keiner vom Platz flog. 13 Gelbe Karten verteilte der überforderte Schiedsrichter Antonio Lahoz an die Spieler. Einmal grätschte Leandro Paredes einen Niederländer um und schoss danach auch noch den Ball mit voller Wucht auf die Ersatzspieler. Das hätte doppelt Gelb geben müssen. Von hinten kam Virgil van Dijk und rammte Paredes weg. Weil van Dijk schon Gelb hatte, hätte auch er vom Platz fliegen können.

Vor allem bei den Argentiniern schlug der Elan irgendwann um ins Unfaire. Ballwegschlagen, Fouls, Schauspielerei. Das ist die Bigotterie im argentinischen Spiel, das Spiel feiern, aber, wenn nötig, es auch mal zerstören. Die Niederländer gifteten aber auch gerne zurück, später beim Elfmeterschießen zeigten sie sich mit ihren Störaktionen von ihrer unfairen Seite. Mehrfach standen sich Spieler Kopf an Kopf, Brust an Brust.