Abend für Abend entlädt sich die Wut der Georgierinnen und Georgier auf ihre Regierung auf den Straßen der Hauptstadt Tbilissi. Mal versammeln sich mehrheitlich Studierende und junge Hauptstädter, tanzen in EU-Fahnen gehüllt zu Technobeats und nationalen Trommelmelodien. An einem anderen Tag sind es Zehntausende, junge und alte, die das Parlament umstellen und den Rücktritt der Regierung fordern. Schon seit zwei Wochen geht das so.

Vor einer Woche hatte die Jugendorganisation Dafioni, zu Deutsch Morgenröte, eine Art öffentliches Demokratiebekenntnis organisiert. "Wir schwören, dass wir uns niemals der Kraft beugen werden, die unser Land an den russischen Feind ausliefert", riefen einige Hundert, meist junge Männer und Frauen, auf dem kleinen Platz vor dem Parlament. Auch an diesem Samstag wird es wieder Proteste geben.

Ihre Wut richtet sich gegen ein Gesetzesvorhaben der Regierung, das das kleine Land im Südkaukasus wieder vor eine wegweisende Entscheidung stellt: Bleibt Georgien, seit Dezember EU-Beitrittskandidat, auf dem politischen Weg Richtung Europa? Oder driftet es doch wieder in den Autoritarismus und in die Nähe zu Russland ab?

Die Sprüche auf den Plakaten klingen, als fürchteten die Menschen eine russische Invasion. "Nein zu Russland, nein zum russischen Gesetz" ist eine Losung, die neben "Fuck Putin" und "Fuck Russia" immer wieder zu hören und zu lesen ist. Doch die Gefahr geht nicht unmittelbar vom großen Nachbarn Russland aus, sondern direkt von der eigenen Regierungspartei Georgischer Traum. 

Bereits zum zweiten Mal innerhalb von zwölf Monaten will Georgischer Traum ihre umstrittene Initiative durchs Parlament bringen. Sie würde unabhängige Organisationen und Medien dazu verpflichten, sich als "Vertreter ausländischer Interessen" registrieren zu lassen. Das Gesetz soll greifen, sobald ein Fünftel der Ausgaben einer Organisation durch internationale Geldgeber finanziert wird, zum Beispiel durch Stiftungen oder Hilfsorganisationen. Vor etwa einem Jahr wurde ein ähnliches Gesetz nach wochenlangen wütenden Protesten zurückgenommen. 

Verdacht auf russischen Einfluss

Der Entwurf erinnert in Grundzügen an ein russisches Gesetz gegen sogenannte ausländische Agenten aus dem Jahr 2012, das nach und nach verschärft wurde und mittlerweile auch auf Privatpersonen angewendet wird. In Putins Russland hat es zunächst dazu geführt, dass regimekritische Organisationen kein Geld aus dem Ausland mehr annehmen konnten. Durch sukzessive Verschärfungen ist das Gesetz zu einem der wichtigsten Instrumente geworden, um Kritikerinnen und Gegner als Verräter zu diskreditieren und ihre Arbeit zu verbieten. Auch andere autoritäre Regime in Russlands Nachbarschaft haben sich diese Politik abgeschaut, zuletzt etwa Kirgisistan, das ein ähnliches Gesetz kürzlich verabschiedet hat. 

Die georgische Opposition und weite Teile der georgischen Zivilgesellschaft bezeichnen das Vorhaben deshalb als "russisches Gesetz". Die Regierungsgegner fürchten, dass es das demokratische Land endgültig vom Reformkurs abbringt. Erst am Donnerstag haben rund 100 zivilgesellschaftliche Organisationen erklärt, jegliche Zusammenarbeit mit der Partei Georgischer Traum aufzukündigen. 

Das Problem: Bis zu 95 Prozent der Budgets von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich der Förderung von Demokratie, Umweltschutz oder dem Schutz der Rechte von LGBTQ-Personen verschrieben haben, werden aus internationalen Quellen bestritten, schätzt das Civil Society Institut mit Sitz in der Hauptstadt Tbilissi. Das zweite Problem: Das Gesetz könnte Georgien den Weg in die EU verbauen. Am Donnerstag hatte das Europäische Parlament mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, die besagt, dass die Beitrittsgespräche mit Georgien ruhen, sollte das Gesetz in Kraft treten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte schon vor zwei Wochen gesagt, er hoffe, dass das Gesetz nicht beschlossen wird.

Aber warum hat die Regierungspartei das Gesetz überhaupt wieder hervorgeholt? Das sei die am meisten diskutierte Frage in Georgien, sagt Stephan Malerius, Leiter des Regionalprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung im Südkaukasus. "Alles deutet darauf hin, dass es auf russischen Druck passiert ist." 

Russlands Ziel sei, die EU-Beitrittsambitionen Georgiens auf Eis zu legen. Ähnlich argumentierte aus der Opposition heraus auch die Präsidentin des Landes, Salome Surabischwili, der Versuch, das Gesetz gegen den Willen des Volkes zu verabschieden, sei ein Teil der russischen Destabilisierungsstrategie, schrieb die Präsidentin auf X, vormals Twitter. Aufhalten kann sie das Gesetz nicht.