Ein EU-Ultimatum an Großbritannien wegen Vertragsverletzungen im Brexit-Verfahren bleibt offenbar ohne direkte Folgen. Die britische Regierung habe beim geplanten umstrittenen Binnenmarktgesetz keine Absicht zum Einlenken erkennen lassen, räumte EU-Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič ein. Die Europäische Union will trotz britischer Verstöße gegen das gültige Brexit-Abkommen weiter mit London am geplanten Handelspakt arbeiten, machte Šefčovič deutlich.

Die umstrittenen Passagen in dem Gesetz würden bleiben, sagte der zuständige britische Staatssekretär Michael Gove nach Gesprächen mit der EU. Diese erneuerte zwar ihre Drohung mit einer Klage, will aber die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen mit London nicht abbrechen. Dazu startet am Dienstag die vorerst letzte Runde. Gove war am Montag nach Brüssel gereist, um mit der EU über das umstrittene Gesetz zu beraten

EU-Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič © John Thys/​Pool/​Reuters

Nach dem britischen EU-Austritt Ende Januar wird vor allem über zwei Punkte gestritten: Zum einen soll bis Ende Oktober ein Handelsabkommen stehen, um die Wirtschaftsbeziehungen von 2021 an zu regeln. Zum anderen empört sich Brüssel darüber, dass sich London mit einem "Binnenmarktgesetz" über das vereinbarte Austrittsabkommen hinwegsetzen wolle. Šefčovič hatte eine Frist bis Ende September – also Mittwoch – gesetzt, die umstrittenen Klauseln zurückzunehmen. 

Trotz "Vertrauensbruchs" wird weiter verhandelt

Bei einer Sitzung des sogenannten Gemeinsamen Ausschusses habe der britische Staatsminister Michael Gove keinen Hinweis gegeben, dass Großbritannien bereit sei, die Klauseln zurückzunehmen, sagte Šefčovič. Der Kommissionsvize nannte die Pläne einen "Vertrauensbruch". Dennoch sollen die Verhandlungen über das nächste Abkommen wie geplant weiter laufen.

Die Verabschiedung des Gesetzes sei "eine äußerst ernsthafte Verletzung" des Brexit-Vertrages, sagte Šefčovič. Die EU werde "zu gegebener Zeit über die weiteren Schritte" zum rechtlichen Vorgehen gegen das britische Vorhaben informieren. Möglich wäre eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof oder die Anrufung des Streitschlichtungsgremiums des Austrittsvertrages. Bekommt die EU dort Recht, könnten Strafgelder gegen Großbritannien verhängt werden.

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Großbritanniens Premierminister Boris Johnson will mit dem Binnenmarktgesetz mehrere Schlüsselregelungen zu Nordirland im Brexit-Vertrag aushebeln. Unter anderem sollen Zollregelungen und Vorgaben für Staatsbeihilfen für britische Unternehmen in der Provinz ausgesetzt werden.   

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeigte sich optimistisch, dass sich die EU und Großbritannien auf ein Handelsabkommen einigen können. "Wir wollen ein Abkommen und ich bin immer noch überzeugt, dass ein Abkommen möglich ist", sagte von der Leyen bei einem Treffen mit dem portugiesischen Regierungschef Antonio Costa in Lissabon.

Von der Leyen forderte die Briten auf, Verantwortung zu übernehmen. Auf beiden Seiten des Ärmelkanals leide die Wirtschaft unter den Folgen der Corona-Pandemie "und wir müssen alles dafür tun, um ein vernünftiges Abkommen zu erreichen". Das geplante Handelsabkommen ist für EU-Unternehmen von großer Bedeutung. Ende des Jahres verlässt Großbritannien nach einer Übergangsphase auch den EU-Binnenmarkt und die Zollunion. Ohne Vertrag drohen Zölle und weitere große Handelshemmnisse.

Der Unternehmerverband Business Europe warnte: "Wir schlafwandeln in den Abgrund", sagte Generaldirektor Markus Beyrer. "Der Übergang von einer vollständigen Marktintegration zu einem No-Deal-Szenario hätte verheerende Folgen für Unternehmen, die schon jetzt mit den Auswirkungen von Covid-19 kämpfen." Beyrer rief beide Seiten zum Kompromiss auf.