Jan-Werner Müller ist Professor für Politische Theorie in Princeton.

Politische Urteilskraft beweist sich auch dadurch, dass man bei plausiblen Verallgemeinerungen genau hinschaut. Nach dem ersten Entsetzen über Putins Angriff auf die Ukraine schien das offenbare Versagen seiner Armee eine dem Westen lieb gewordene Gewissheit zu bestätigen: Autokratien würden immer an sich selbst scheitern. Niemand traue sich, dem Herrscher die Wahrheit vorzusetzen; diese Regime seien unfähig, Fehler zu korrigieren. Allein Demokratien erwiesen sich als lernfähig, während Autokratien früher oder später jämmerlich wie die Sowjetunion 1991 enden würden. Unser Zeitalter der Desillusionierungen hat gezeigt, dass Autokraten sehr wohl lernen können – aus der Geschichte und voneinander. Das rechtfertigt nun keineswegs, von einem deterministischen Extrem ins andere zu fallen und zu schlussfolgern, das 21. Jahrhundert gehöre notwendigerweise cleveren Autokraten. Vielmehr gilt es genau zu verstehen, wie Autokratien heute anders funktionieren als in der Vergangenheit – und was dies für unseren Umgang mit ihnen bedeutet.