Hallo, sagt mal, seid ihr zum Impfen hier?"

Beide Männer fangen an zu kichern. Der eine stellt sich vor: Niklas, 25, Biologiestudent, trägt eine kurze Hose, sein Mitbewohner einen langen Bart. Sie kichern, weil sie es selbst ein bisschen bescheuert finden: dass Niklas es immer noch nicht geschafft hat, sich impfen zu lassen. Jetzt sitzt er auf dem Leopoldplatz in Berlin-Wedding, ein Klemmbrett auf den Knien, und füllt die Einverständniserklärung für den Moderna-Impfstoff aus.

"IMPFEN UND DÖNER GRATIS" und "IMPFEN OHNE TERMIN" steht in gelb-schwarzen Großbuchstaben auf Transparenten. Dann steht da ein Zelt, weiße Planen, aufgebaut vom Arbeiter-Samariter-Bund. Sechs mal sechs Meter Platz, so viel braucht man mindestens für eine mobile Impfstelle. Sie besteht aus Anmeldung, Impfkabinen und Dokumentation. Den Döner gibt es nicht im Zelt. Nur einen Gutschein, den man bei Kaplan Döner nebenan einlösen kann. Die Dönerbude sponsert die Döner, der Berliner Senat zahlt dafür nichts.

Von Mittwoch bis Freitag der vergangenen Woche gab es in ganz Deutschland mehrere Orte, an denen man sich quasi im Vorbeigehen impfen lassen konnte: Einkaufszentren, Einrichtungshäuser, Marktplätze, Fußballspiele und Eishockeyspiele. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte eine deutschlandweite Impfaktionswoche ausgerufen. Denn es sind zwar 63 Prozent der Deutschen inzwischen vollständig geimpft – aber nur etwa sieben bis zehn Prozent sind harte Impfgegner, zehn Prozent sind Kinder unter zwölf Jahren. Bleiben also 20 Prozent, die sich hätten impfen lassen können, es aber noch nicht getan haben.

Diese 20 Prozent – darunter vier Millionen Menschen über 60 – sind wichtig, damit im Winter die Intensivstationen nicht wieder volllaufen. Denn einen weiteren Lockdown will keine Partei den Bürgern mehr zumuten. Deshalb will man Anreize setzen. Aufmerksamkeit bekommen. Zur Not mit Döner. Aber, die Frage muss ja erlaubt sein, warum haben die sich nicht schon vorher impfen lassen? Hatten sie kein Interesse, sich zu schützen?

"Da gibt es keine tiefere Begründung", sagt Niklas, "es war echt einfach nur laziness", Faulheit. Sein Mitbewohner guckt ihn ein bisschen mitleidig an. Er arbeite im Rettungsdienst, sagt er, war also schon im Februar geimpft. Niklas: "Am Anfang sind ja alle losgerannt. Da dachte ich, ich warte ab. Dann hatte ich gar nicht mitbekommen, dass es so einfach wurde." Er sei jetzt damit der Letzte in seinem Freundeskreis. Einen Impfpass habe er auch nicht, der liege bei den Eltern in Brandenburg. "Wir haben in der Apotheke einen geholt. Kostet einen Euro. Wusste ich auch nicht, dass das geht." Und wie haben die beiden erfahren, dass es hier heute die Impfung gibt? "Wir wohnen direkt gegenüber, haben das aus dem Fenster gesehen." Niklas zeigt auf einen Altbau an der Straße. "Da dachte ich: coole Aktion. Ich hab eh Hunger."

Um 13 Uhr haben sie heute angefangen, Moderna und Dönergutscheine zu verteilen, um 13.30 Uhr ist es noch relativ leer, keine Schlange vor dem Zelt, nur ein Kamerateam eines russischen Fernsehsenders und ein einsamer Fotograf. Insgesamt, das wird man aber erst am Montag wissen, schaffen sie auf dem Leopoldplatz in dieser Woche knapp 200 Erstimpfungen, in ganz Deutschland 500.000 – die Hälfte davon bei Aktionen wie dieser, vermutet Gesundheitsminister Spahn.

Eine Frau mit hellgrauen Strähnen in dunkelgrauem Haar sitzt ein paar Meter von Niklas weg. Jahrgang 76, hat sie auf den Anmeldebogen geschrieben. Warum ist sie hier?

"Um mich impfen zu lassen."

Warum erst jetzt? Hatten Sie Zweifel?

"Nee. Ich habe keinen Hausarzt, ich bin so selten krank, fast nie. Die Ärzte hier im Wedding nehmen alle keine Neupatienten auf. Da habe ich nirgendwo einen Termin bekommen."

Na, ein Glück, dass es das jetzt hier gibt. Noch dazu mit Döner.

"Ach, den will ich gar nicht, ich bin Vegetarierin."