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Druck auf Wettbewerber Chinas Griff zur technologischen Weltherrschaft – so will Peking den Westen schlagen

Die Binhai-Bibliothek in Tianjin  wurde 2017 eröffnet.
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© CNHowey / wikimedia
China ist nicht mehr nur die Produktionsbank der Welt, Peking investiert in Wissen. In sechs strategischen Feldern will das Land eine dominante Stellung erringen und den Westen auf die hinteren Plätze verweisen.

China will die Welt erobern – mit Wissen und nicht mit Panzern. Das Stichwort lautet "Neue Produktivkräfte". Vom reinen Produzieren hin zum Know-how. Peking investiert im großen Stil in Wissen und das seit langer Zeit – und fährt inzwischen die Ernte ein. "Wenn Sie Statistiken der meistzitierten wissenschaftlichen Artikel anschauen, werden sie kaum einen Bereich finden, wo China nicht eine führende Stellung einnimmt", sagt Peter Fintl, China-Experte und Leiter Technology & Innovation beim Beratungsunternehmen Capgemini Engineering. 

China will in zentralen Bereichen führen

Aus Wissen entstehen Macht und Wohlstand. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf korreliert mit der wissenschaftlichen Stellung des Landes in der Welt. Die Volksrepublik spielt längst in der höchsten Spielklasse. China strebt in mehreren zentralen Feldern weltweit eine dominante Stellung an. Im Bereich Solartechnik und Elektroauto ist es bereits gelungen, weitere sollen folgen. Bekannt ist die alte Mao-Strategie: "Zuerst beherrschen wir die Dörfer und dann die Städte." Und dieser Strategie ist man gefolgt. Fintl betont: "China hat zu Beginn Bereiche gesucht, wo der Westen nicht sehr stark war. Ausgehend davon begann man großflächig in die gesamte Wertschöpfungskette zu investieren und hat konnte so in vielen Bereichen eine starke oder gar dominante Position erringen." Und davor fürchtet sich die Welt. In den USA warnt man vor Pekings "Overcapacity" – mit einer hohen Produktivität, günstigen Herstellungskosten und einer riesigen industriellen Basis wird China den internationalen Wettbewerb unter Druck setzen. 

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Die EU und die USA wollen die heimischen Märkte vor dem Preis- und Innovationsdruck der Chinesen schützen. Im Weltmarkt wird das nicht gelingen. China ist inzwischen eine gigantische Produktionsmaschine. Zu Beginn hat man auf ein ganzes Heer von günstigen Arbeitskräften vertraut, mit steigendem Wohlstand nutzt sich dieser Effekt ab. Deswegen hat die chinesische Regierung vor mehr als einem Jahrzehnt erkannt, dass sie im Bereich Automatisierung eine führende Stellung einnehmen muss. Jetzt sieht man das Ergebnis: Handyhersteller Xiaomi hat vor kurzem das erste E-Auto des Konzerns gezeigt, den SU7. Ein Video zeigt die Gigafactory – die vollautomatisierte Anlage soll alle 76 Sekunden ein Modell ausspucken. 

Chinas sechs strategische Innovationsfelder 

Den Bereich der Automatisierung möchte man nicht nur mit den klassischen Tugenden des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus revolutionieren, so Fintl, sondern setzt konsequent auch auf Künstliche Intelligenz. "Hier will China eine führende Stellung einnehmen, mit dem Ziel, dieses Know-how zu exportieren und die Lizenzen für diese Technologien in chinesischen Händen zu halten." 

Dies ist nur eines der Zukunftsfelder, die die chinesische Regierung auserkoren hat, und in dem die Firmen auf dem Weltmarkt in Zukunft auf viel stärkere Konkurrenz treffen werden. "Zu Beginn des Jahres hat die Regierung die neuen sechs strategische Innovationsfelder definiert, auf die Peking sich konzentrieren will. Und dazu zählt die Zukunft des Manufacturing von Sensorik über Produktionsmaschinen bis hin zur Cloud." 

"Das zweite Feld umfasst Informationstechnologie, 6G, Satellitenkommunikation und erdnahe Satelliten. Dann als Drittes die Materialforschung – von nachhaltig, leicht bis ultrafest. Dann das Energieprogramm von Wasserstoff über Solarzellen bis hin zum Fusionsreaktor und Thorium-basierten Brennstoffkreisläufen." Schließlich Weltraumtechnik, inklusive nicht-staatlicher Akteure nach dem Vorbild von SpaceX. Hier denkt man sogar weiter – auch die Tiefsee und der Erdmantel stehen auf der Agenda. Und als Letztes Biotechnologie und Medizin. "Die Chinesen adressieren etwa auch die Herausforderungen alternder Gesellschaften. Sie arbeiten etwa an maßgeschneiderten Medikamenten, da wird mit hohem Einsatz investiert." 

Chinas Probleme 

Das ist ein Masterplan zur technologischen Weltherrschaft. Ob er gelingt, ist eine andere Frage. Nicht alles leuchtet rosarot im Land. China hat fünf Prozent Wachstum zusammengebracht. "Fünf Prozent waren in der Vergangenheit das absolute Minimum, das China brauchte, um ausreichend neue Jobs zu schaffen." Und es gibt weitere Herausforderungen, so Fintl. Die Jugendarbeitslosigkeit, die Geburtenrate, die Häuserpreise, die Produktivität der Industrie. "In Peking ist man sich der vielfältigen Herausforderungen durchaus länger bewusst. Dieser neue Plan zur 'technologischen Spitzenposition' ist, auch wenn der Grundstein schon vor Dekaden gelegt wurde – durchaus als Reaktion auf die Probleme in China heute zu sehen. Technologie und Innovation werden als großer Teil der Lösung betrachtet." 

Wo bleibt das alte Europa?

Die Frage bleibt: Wie kann Europa bestehen? Von der Kultur und Mentalität her bringt Europa gute Voraussetzungen mit. "Europa hat das Glück, auf einem starken Fundament aufbauen zu können. Das Wissenschaftssystem, der wirtschaftliche Grundstock sind leistungsfähig und bieten für Forschende aller Herren Länder durchaus gute Bedingungen. Die Herausforderung bleibt, diese oft bahnbrechenden Grundlagenerkenntnisse zu industrialisieren." Derzeit überholen die großen Wirtschaftsblöcke in Amerika und Asien das "alte" Europa. Das liegt am Innovationsgeist, aber auch an den besseren staatlichen Bedingungen, wie an den niedrigen Hürden, Firmen zu gründen. Und es liegt daran, dass die staatlichen Impulse und Förderungen Wirkung zeigen. "China und USA investieren im großen Maßstab, teilweise auch äußerst zielgerichtet. Man denke an die Wirkung des amerikanischen Inflation Reduction Acts, welche auch zu einer Renaissance der Industrie in den USA geführt hat, oder chinesische Programme zur Förderung der Grünen Industrie. Bei aller Kritik im Detail sind sie doch Beispiele, wie man durch strategische Investitionen langfristig den Innovations-Output deutlich steigern kann. Die Frage ist, schafft es Europa als Kontinent, darauf eine kraftvolle Antwort zu geben? Ich fürchte, wir in Europa haben aus vielen verschiedenen Gründen hier einen großen Nachholbedarf." 

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