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Metoo-Prozess Gericht hebt historisches Vergewaltigungsurteil gegen Hollywood-Produzenten Weinstein auf

Harvey Weinstein nach der Verhandlung im Prozess wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung in New York
Harvey Weinstein nach der Verhandlung im Prozess wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung in New York
© John Minchillo / AP / DPA
Die Entscheidung kam überraschend: Harvey Weinstein muss seine Haftstrafe wohl nun doch nicht absitzen. Stattdessen wird der Fall neu aufgerollt.

Völlig überraschend hat ein Gericht in New York die historische Verurteilung des ehemaligen Filmmoguls Harvey Weinstein wegen Sexualverbrechen aufgehoben. Die Juristen am Berufungsgericht der US-Ostküstenmetropole widerriefen damit einen der aufsehenerregendsten Rechtssprüche der vergangenen Jahre. Ihm kam im Kontext der MeToo-Bewegung globale Bedeutung im Kampf gegen Missbrauch und für die Gleichstellung von Frauen und Männern zu. Der Fall hatte damals die #MeToo-Bewegung maßgeblich mit ausgelöst. 

"Wir kommen zu dem Schluss, dass das erstinstanzliche Gericht fälschlicherweise Zeugenaussagen über nicht angeklagte, mutmaßliche frühere sexuelle Handlungen gegen andere Personen als die Kläger der zugrunde liegenden Straftaten zugelassen hat", schrieb der Vorsitzende Richter in der Entscheidung vom Donnerstag zur Berufung des 72-jährigen Weinsteins und bescheinigte dem damaligen Richter James Burke schwere Verfahrensfehler. Die Entscheidung der sieben Richter fiel mit 4:3 denkbar knapp aus.

Tatsächlich stützte sich die Anklage bei dem weltweit beachteten Fall auf eine Reihe von Zeuginnen, die Weinstein sexuelle Übergriffe vorwarfen, die allerdings nicht Teil der Anklage waren. Die Staatsanwaltschaft wollte mit ihrer Hilfe zeigen, dass die Taten Weinsteins einem wiederkehrenden Muster folgten. In dem aufsehenerregenden Prozess ging es im Kern um zwei Vorwürfe: Weinstein soll 2006 die Produktionsassistentin Mimi Haleyi zum Oralsex gezwungen und die heutige Friseurin Jessica Mann 2013 vergewaltigt haben.

Talente lockte Harvey Weinstein in seine Hotelzimmer

In der Entscheidung zur Aufhebung des Urteils von 2020 wird die Zulassung der zusätzlichen Zeuginnen als schwerwiegender "Fehler" bezeichnet: "Die einzigen Beweise gegen den Angeklagten waren die Aussagen der Klägerinnen, und das Ergebnis der Gerichtsentscheidungen bestand einerseits darin, ihre Glaubwürdigkeit zu stärken und den Charakter des Angeklagten vor den Geschworenen zu schmälern."

Der erste Weinstein-Prozess markierte einen Meilenstein der Rechtsgeschichte – auch deshalb, weil die ehemalige Hollywood-Größe vor allem auf Basis der Aussagen von Zeuginnen für schuldig befunden wurde, obwohl er selbst stets seine Unschuld beteuerte. Materielle Beweise spielten in dem Verfahren eine untergeordnete Rolle.

Weinsteins Masche war es den übereinstimmenden Aussagen der Frauen zufolge, junge Schauspielerinnen unter der Vorgabe, er halte sie für talentiert und wolle ihnen bei ihrer Karriere helfen, in Hotelzimmer zu locken. Dort verlangte er dann demnach sexuelle Handlungen von ihnen. Der Staatsanwaltschaft zufolge nutzte Weinstein dabei seine herausragende Machtposition in Hollywood aus, um sich die Frauen gefügig zu machen. Als Produzent von Filmen wie "Pulp Fiction" oder "Gangs of New York" war er sehr erfolgreich, für "Shakespeare in Love" gewann Weinstein auch einen Oscar.

Harvey Weinstein: Chronologie der Vorwürfe sexueller Belästigung und mutmaßlicher Vergewaltigung

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05:46 min

Richter soll über weiteres Verfahren entscheiden

Weinstein war bei dem Prozess in New York stets mit einem Rollator zum Gericht gekommen, was von Kritikerinnen und Kritikern als Versuch seiner Verteidigung gewertet wurde, ihn als schwach und wenig angsteinflößend darzustellen. Weinstein hatte als Geschäftsführer seiner Filmfirma Miramax den Ruf, ein äußerst kraftvolles und lautes, mitunter auch aggressives Auftreten zu haben.

Weinstein wurde schließlich zu 23 Jahren Haft wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung verurteilt. In einem weiteren Strafprozess in Los Angeles kamen 16 Jahre Gefängnis dazu. Nach Angaben der "New York Times" muss nun Manhattans Bezirksstaatsanwalt Alvin Bragg entscheiden, ob er ein neues Verfahren gegen Weinstein einleitet. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte gegenüber dem Magazin "The Daily Beast", man werde "alles in unserer Macht Stehende tun, um diesen Fall erneut zu verhandeln". Weinstein sitzt in einem Gefängnis im Bundesstaat New York. Wegen der Verurteilung in dem zweiten Prozess aus Kalifornien wird er momentan nicht auf freien Fuß kommen.

Weinstein-Skandal als Treiber der Gleichberechtigung

Mehr als 80 Frauen hatten Weinstein sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Die Anschuldigungen gegen den Produzenten, im Herbst 2017 von der "New York Times" und dem Magazin "New Yorker" veröffentlicht, waren der Anfang der MeToo-Bewegung.

Überall auf der Welt erkannten viele Frauen und auch einige Männer ihre eigenen Geschichten in denen der mutmaßlichen Weinstein-Opfer wieder – sie begannen, diese Geschichten unter dem Schlagwort "Me too" ("Ich auch") zu sammeln. Die MeToo-Bewegung hatte das Urteil gegen Weinstein gefeiert – aber auch kritisiert, dass er nicht in allen Anklagepunkten für schuldig befunden wurde.

Die MeToo-Bewegung wird als Treiber der globalen Gleichstellung von Frauen und Männer gesehen. Durch die internationale Debatte und die Verurteilung Weinsteins, der von vielen als Prototyp des übergriffigen Mannes gesehen wurde, wurden viele ungerechte und sexistische Verhaltensweisen in Gesellschaften hinterfragt. Schauspielerin Ashley Judd, die 2017 über Weinstein in dem Artikel der "New York Times" ausgepackt hatte, sprach bezüglich der Entscheidung des Berufungsgerichtes davon, dass diese "unfair gegenüber den Opfern" sei. "Wir leben immer noch in unserer Wahrheit. Und wir wissen, was passiert ist."

Hinweis: Dieser Beitrag wurde wiederholt aktualisiert.

cl DPA

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