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Israelkritiker Omri Boehm Anstatt Wut zu inszenieren: Warum wir endlich mehr Sachlichkeit in der Gaza-Dabatte brauchen

Der deutsch-israelische Publizist Omri Boehm (Bild in Gaza-Kommentar)
Der deutsch-israelische Publizist Omri Boehm, hier bei der Leipziger Buchmesse, wo ihm der Preis zur Europäischen Verständigung verliehen wurde
© Hendrik Schmidt/dpa
In Österreich ist ein Konflikt um den Auftritt des deutsch-israelischen Philosophen Omri Boehm auf dem Wiener Judenplatz entbrannt. Warum der Israelkritiker dort trotzdem heute seine Rede halten sollte – sich die Veranstalter aber ein paar Fragen Gefallen lassen müssen.

Wer am Sonntagabend die Spätnachrichten im ORF verfolgte, hätte kurz den Eindruck gewinnen können, in Österreich würde eine Debatte ausnahmsweise differenzierter geführt als anderswo. Moderator Martin Thür hatte den als israelkritisch bekannten Philosophen Omri Boehm zu Gast, um dessen Auftritt zur Eröffnung der Wiener Festwochen ein Konflikt entbrannt ist. 

Boehm ist selbst Jude, deutscher und israelischer Staatsbürger, lehrte an diversen Universitäten in den USA. Für sein Buch „Radikaler Universalismus“ ist er vor wenigen Wochen mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet worden. Er tritt für einen gemeinsamen Staat von Palästinensern und Israelis ein. Thür machte seinem Ruf als kluger und harter Fragensteller alle Ehre, konfrontierte seinen Gesprächspartner mit kritischen Fragen zu dessen Positionen, etwa die umstrittene Verwendung des Begriffs Apartheid, der die Rassentrennung in Südafrika beschreibt, für einen pluralistischen Staat wie Israel.

Der Moderator nannte das "geschichtsvergessen". Boehm konterte: "Wir sollten das Wort Apartheid nicht fetischisieren", so Böhm. Die Frage sei doch, "welcher Begriff gelten soll, um das Völkerrecht auf dem Territorium durchzusetzen?". Die beiden diskutierten, wogen ab, es ging auch kontrovers zur Sache, aber immer sachlich.

Warum, fragt man sich, können die Debatten um den Gaza-Krieg, um die generelle Problematik im Verhältnis zwischen Palästinensern und Juden, nicht immer so geführt werden? 

Gaza, das heißt im Westen: Protestcamps und Farbattacken

Auch hierfür liefert Österreich wieder Anschauungsmaterial – aktuell gerade in Wien. Am Montag hat im Votivpark vor der Hauptuniversität ein "Pro Palästina“-Protestcamp seine Zelte eröffnet, wo man das Ende aller Kooperationen und Erasmus-Partnerschaften mit israelischen Hochschulen fordert. Bei einer Antisemitismus-Konferenz in der Akademie der Wissenschaften schüttete ein Aktivist Kunstblut in Richtung der Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und des Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch. Er habe gegen die Normalisierung eines "Völkermordes“ und für einen „Waffenstillstand“ im Gazastreifen demonstrieren wollen, sagte der Täter. Warum dies ausgerechnet auf einer Veranstaltung passieren muss, in der es um Judenhass in Europa geht, blieb der frühere Aktivist der "Letzten Generation" schuldig. 

Wiener Aktionismus: Der Platz vor der Akademie der Wissenschaften nach der Farbattacke auf die Bundesministerin Karoline Edtstadler und den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch.
Wiener Aktionismus: Der Platz vor der Akademie der Wissenschaften nach der Farbattacke auf die Bundesministerin Karoline Edtstadler und den Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch.

Das Beispiel zeigt die Absurdität der Debatte in den westlichen Ländern. Es scheint nur noch vordergründig um die Situation der Menschen in Gaza zu gehen, inhaltliche Grenzen werden verwischt, immer häufiger mischen Demonstranten ihre eigenen, ganz anderen Agenden dazwischen. 

Gleiches gilt für jene Wütenden, die Omri Boehm als einem Isrsaeli das Wort verbieten wollen. Und doch muss sich Milo Rau, der künstlerische Leiter der Wiener Festspiele, die Frage gefallen lassen, ob Art und Ort dieser Veranstaltung die richtigen sind. Omri Boehm hält seine so genannte "Europarede" nämlich auf dem Wiener Judenplatz in der Inneren Stadt, wo Wiens jüdische Bevölkerung Jahrhunderte ihr Zentrum hatte, bis man sie im Kaiserreich über den Donaukanal in die Leopoldstadt übersiedelte, von wo sie in der Zeit des Nationalsozialismus erst deportiert und dann ermordet wurden. 

Auf jenem Judenplatz steht heute das Mahnmal für die österreichischen Opfer der Schoah, das die britische Künstlerin Rachel Whiteread gestaltet hat. Es ist nur schwer nachzuvollziehen, warum der Schweizer Theatermacher Rau und der deutsch-israelische Gastredner darauf bestanden, ausgerechnet an diesem sensiblen Ort ihre Veranstaltung abzuhalten – nachdem nicht nur Oskar Deutsch als Präsident der Kultusgemeinde, sondern auch Ariel Muzikant, der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, von der "falschen Rede am falschen Ort" sprechen. 

Seit dem Jahr 2000 steht das Schoah-Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread auf dem Judenplatz, dem Zentrum jüdischen Lebens des mittelalterlichen Wiens. Hier befand sich die alte Synagoge, die 1204 zum ersten Mal erwähnt wurde. 1420 gab es dort einen der blutigsten Pogrome der österreichischen Geschichte, die letzten freien Juden begingen in ihrer belagerten Synagoge kollektiven Selbstmord.
Seit dem Jahr 2000 steht das Schoah-Mahnmal der britischen Künstlerin Rachel Whiteread auf dem Judenplatz, dem Zentrum jüdischen Lebens des mittelalterlichen Wiens. Hier befand sich die alte Synagoge, die 1204 zum ersten Mal erwähnt wurde. 1420 gab es dort einen der blutigsten Pogrome der österreichischen Geschichte, die letzten freien Juden begingen in ihrer belagerten Synagoge kollektiven Selbstmord.
© stern Bildarchiv

Außerdem wird Yanis Varoufakis erwartet. Der frühere griechische Finanzminister gilt in der Israelfrage als radikal, seine Anreise zum Berliner "Palästinenserkongress" im April wurde von den deutschen Sicherheitsbehörden verhindert. Es wirkt, als hätten die Veranstalter eben nicht im Sinn, das Feuer der hitzigen Debatte zu löschen – sondern Öl hinein zu gießen. Als sei es wichtiger, Aufmerksamkeit zu erregen als zwischen konträren Positionen zu vermitteln.

Österreich als Labor für den Westen

Auch der Staat Österreich selbst tut sich offenkundig damit schwer. Zwar lässt sich auch der österreichische Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka derzeit dabei fotografieren, wie er antisemitische Parolen, die zuletzt leider vermehrt auf die Fassaden Wiens geschmiert werden, übertüncht. 

Isarels Botschafter David Roet (l.) und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) übermalen am Holocaust-Gedenktag in Wien antisemitische Schmierereien
Isarels Botschafter David Roet (l.) und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) übermalen am Holocaust-Gedenktag in Wien antisemitische Schmierereien
© Tobias Steinmaurer/APA/dpa

Gleichzeitig tut sich seine ÖVP immer noch mit der Aufarbeitung der eigenen Geschichte schwer. Das Standbild des Wiener Bürgermeisters Karl Lueger (1844–1910), der dem jungen Adolf Hitler in seinen Wiener Jahren als Vorbild diente, steht immer noch auf dem nach ihm benannten Platz an der Ringstraße. 

"Weil es zu uns gehört, so wie die antisemitische Geschichte unseres Landes zu uns gehört", so hatte es Sobotka 2021 im sternformuliert. Man dürfe die Leistungen des Mannes nicht vergessen. "Es ist in Ordnung, dass sein Denkmal heute beschmiert ist, aber es soll stehen." Auf Initiative der Stadtregierung wurde das Denkmal schlicht um 3,5 Grad symbolisch nach rechts gekippt. 

Wieder einmal fungiert das kleine Österreich als politisches Labor, manche Debatte wird hier schriller, grotesker und auch offensiver geführt als etwa in Deutschland. Und noch viel deutlicher lässt sich erkennen, dass mancher kluge oder manchmal auch bloß gutgemeinte Beitrag zur maßgeblichen Debatte unserer Tage schnell missbraucht wird.

Natürlich soll Omri Boehm an diesem Dienstagabend sprechen. Wenn er so klug ist, wie man hoffen möchte, dann findet er Worte, die diesen Platz nicht beschädigen. Dann formuliert er auch Gedanken, die seine Zuhörer dazu anregen, sich und ihre Positionen zu hinterfragen. Omri Boehms Rede kann sogar zu einer ganz besonderen werden, wenn sie sich auch gegen die eigene Selbstgewissheit richtet. Das ist generell und immer ein gutes Ziel – in der aufgeheizten Debatte um den Gaza-Krieg aber noch viel mehr.

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