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Vizekanzler Habeck und die Atom-Vorwürfe: Bloß nicht wieder wehleidig werden!

Robert Habeck sitzt auf der Regierungsbank im Bundestag
Spuren ideologischer Verbohrtheit? Wirtschaftsminister Robert Habeck am Freitag im Bundestag
© action press
Ausschuss, Plenum, Pressekonferenz: Im Vergleich zum Heizungs-Debakel hat der Wirtschaftsminister bei der Krisenbewältigung einiges dazugelernt.

Das Gesicht ist nicht ganz leicht zu lesen. Robert Habeck lächelt zwar, aber doch ein wenig spöttisch, fast herablassend. Und sein Blick aus den Augenwinkeln hat auch Schärfe, als wolle er sagen: Pass bloß auf, Freundchen, wenn wir zwei uns mal nachts allein im Park begegnen.

Freitagvormittag im Bundestag: Der Wirtschaftsminister sitzt auf der Regierungsbank, am Rednerpult schimpft der CDU-Generalsekretär. Carsten Linnemann kritisiert die Bundesregierung in der Wirtschaftspolitik, in der Energiepolitik, beim Thema Kernkraft. Und genau da knöpft sich der christdemokratische Chef-Angreifer den Minister Habeck auch persönlich vor: "Das, was in Ihrem Ministerium passiert ist, das ist einfach nur unsäglich", schimpft der Christdemokrat. "Das macht man nicht!"

Mehr sagt er dazu nicht. Es ist ein rhetorischer Trick. Linnemann hält sich nicht mit Details auf. Er tut so, als sei der Angeklagte schon überführt. Als stünde schon in allen Geschichtsbüchern, dass Habeck ein Übeltäter im Ministergewand ist, der für den Ausstieg aus der Kernkraft manipulieren ließ, ideologisch getrieben wurde und sein Haus nicht im Griff hat. Weiß doch jeder! Diese Botschaft soll hängenbleiben, das muss das politische Ziel der Opposition sein, völlig legitim.

Habeck ist das klar. Spätestens seit dem Heizungsgesetz weiß er, wie genüsslich seine Kritiker Spuren ideologischer Verbohrtheit in seinem Ministerium verfolgen und ihr Ende am liebsten in seinem Büro verorten möchten. Um diesen Ausgang zu vermeiden, ist Habeck am Morgen schon früh aufgestanden. Der Vizekanzler, der die Hoffnung noch nicht aufgegeben hat, irgendwann vielleicht sogar Kanzler zu werden, hält dagegen. Anders als beim Heizungsgesetz jammert und greint er diesmal nicht. Trotzdem wird es ein langer Freitag für ihn.

Haben seine Beamten Robert Habeck getäuscht?

Um kurz vor acht Uhr am Morgen stand Habeck schon vor dem Raum, in dem der Energieausschuss des Parlaments tagt. Die Abgeordneten hatten ihn herbeizitiert, nachdem am Donnerstag das Magazin "Cicero" unter Berufung auf Unterlagen aus Habecks Haus berichtet hatte, der Minister sei von seinen Beamten falsch informiert worden. Die hätten eine Laufzeitverlängerung der letzten Atomkraftwerke über 2022 hinaus um jeden Preis verhindern wollen. Habeck am Gängelband grüner Ideologen, ahnungslos, ausgetrickst. Kein schönes Bild. Aber stimmt es?

Der Minister ist um den Eindruck guter Laune bemüht. Er freue sich auf die Sitzung, sagt Habeck, und singt erst einmal ein Loblied darauf, wie erfolgreich die Regierung seit Beginn des Ukraine-Kriegs die Energieengpässe überwunden habe: Gasspeicher voll, Preise sinken, der Ausstoß von Kohlendioxid auch. "Wir sind super durch die Krise gekommen." Doch darum geht es an diesem Morgen nicht.

Haben ihn Beamte seines Hauses über die Möglichkeiten einer Laufzeitverlängerung getäuscht? Was die Kernkraftwerke anging, sagt Habeck, seien es die Energiekonzerne gewesen, die in den ersten Monaten des Jahres 2022 einen längeren Betrieb für nicht realistisch gehalten hätten. Die Brennstäbe seien "ausgelutscht" gewesen, wie der Minister formuliert. Ob er sicher sei, dass ihn alle relevanten Informationen erreicht hätten? Da weicht er ein wenig aus. Das Haus sei groß, 2400 Mitarbeiter, es werde viel diskutiert und nicht jeder Austausch wortgenau protokolliert. In jedem Fall habe er aber alle wichtigen Fragen in den Gesprächen mit den Energieversorgern angesprochen. Das sei für ihn "entscheidend". Wenn er das gleich im Ausschuss darlegen werde, würden die Abgeordneten "bestimmt eine spannende Stunde" erleben.

"Es gab kein Geheimwissen, das mich nicht erreicht hat"

Danach ist Habeck dann nicht mehr ganz so fröhlich, wirkt aber doch zufrieden. Die Vorwürfe "konnte man ganz gut einordnen", berichtet der Minister aus dem Ausschuss. Mit "man" meint er offenkundig sich selbst. Die Unterlagen erzählten "eine andere Geschichte als die, die kolportiert wurde", sagt Habeck. "Die Annahme, dass da eine Art Geheimwissen wäre, das mich nicht erreicht hat", sei falsch.

Habeck verschwindet ins Plenum des Bundestages, während die Opposition ihre Bewertung abgibt. Die klingt natürlich anders: Der Minister habe nicht alles beantwortet, sei ausgewichen, Fragen seien offen geblieben. Aber wirklich Schaum vor dem Mund hat keiner der Kritiker.

Habeck verbringt ein paar Stunden auf der Regierungsbank im Bundestag. Das Klimaschutzgesetz wird verabschiedet, ein weiteres Gesetz zur Solarenergie. Eigentlich ein guter Tag für ihn und die Grünen. Den will er sich nicht verhageln lassen. Es geht jetzt darum, die thematische Hegemonie zurückzuerobern. Bloß nicht in einen Strudel von immer neuen Vorwürfen und Fragen geraten. Den Angriff von Carsten Linnemann sitzt er grimmig aus. 

Endlich Fragen zum Amortisationskonto und dem Resilienzbonus

Am Nachmittag der nächste Auftritt. Energiewende. Es gehe voran, sagt Habeck. Bei der Windenergie auf See, an Land auch. "Es läuft wirklich gut." Der Minister hat mehrere Tabellen mitgebracht. Die Kurven steigen an. Sogar die Kilometerzahl der gebauten Stromnetze hat sich binnen zwei Jahren verfünffacht.

Knapp zwei Handvoll Fragen bekommt Habeck gestellt. Der Minister redet ausführlich über das Wasserstoffamortisationskonto, das er für eine gute Idee hält, und über den Resilienzbonus, dessen Wegfall im Solarpakt er bedauert. Die Wissbegier der Journalisten: ein Festival der Klimaexperten, Kauderwelsch für Generalisten. Habeck fühlt sich wohl, das merkt man. Nur eine Frage kommt noch zum Thema Atom. Er beantwortet sie geduldig. Die Kritik der Opposition sei "eher fragend" vorgetragen worden, erzählt er noch einmal aus dem Ausschuss. "Ich glaube, ich konnte sie auch weitgehend beantworten", sagt der Minister. "Es ist nichts vertuscht worden." Ob die Sache damit ausgestanden sei, wird er gefragt. "Das entscheide ja nicht ich", antwortet Habeck. Das weiß er aus leidvoller Erfahrung.

Tag eins nach den kritischen Berichten ist jedenfalls nicht schlecht gelaufen für ihn. Habeck hat aus seinen Fehlern beim Heizungsgesetz gelernt. Keine Wehleidigkeit mehr, kein Weltschmerz. Womöglich hätte sogar Carsten Linnemann jetzt gar nicht mehr so viel zu befürchten, wenn er Habeck heute Nacht allein im Park begegnen würde.

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