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Nach FDP-Forderungen Warum sind die Grünen plötzlich so still?

Grüne Parteichefs Lang und Nouripour
Parteichefs Lang und Nouripour: Die Grünen üben sich in kommunikativer Zurückhaltung.
© dts Nachrichtenagentur / Imago Images
Nanu? Während die SPD die jüngsten Forderungen der Liberalen heftig verurteilt, beschwichtigen führende Grüne – oder sagen gar nichts. Hier könnte sich ein größerer Plan zeigen.

Die Sozialdemokraten sind sauer. Der Grund: die jüngsten Vorschläge der FDP für eine "Wirtschaftswende". Eine Woche vor dem Parteitag der Liberalen wurden diese bekannt, darunter: Bürgergeld verschärfen, Rente mit 63 und Solidaritätszuschlag abschaffen, Lieferkettengesetz aussetzen und ein Moratorium auf Sozialleistungen. 

Für führende SPD-Vertreter (Generalsekretär, Fraktionschef, Bundesarbeitsminister) ist das wahlweise: "Beschimpfung von Arbeitnehmern", ein "zynischer Blick auf unsere Mitmenschen", "untauglich", "Überbleibsel aus der Mottenkiste" oder "Unsinn". Parteichef Lars Klingbeil sagte: Wenn die FDP glaube, dass es der Wirtschaft besser geht, "wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig".

Weil die Sozialdemokraten schäumen, sticht hervor, wie still der dritte im Ampel-Bunde ist. Nur eine grüne Abgeordnete schimpft über die FDP-Ideen, die Fachpolitikerin Beate Müller-Gemmeke. "Diese FDP hat überhaupt keinen Kompass mehr", sagte sie dem stern. Ansonsten? Funkstille. Die Grünen-Spitze wollte am Sonntag der Nachrichtenagentur dpa kein Statement abgeben. Am Montag trat Parteichef Omid Nouripour nach der Sitzung des Bundesvorstands vor die Kameras und sprach über den Krieg Russlands in der Ukraine, mutmaßliche chinesische Spione, den europäischen "Green Deal" und das neue Solarpaket. Nicht aber über liberale Querschläge, hinter welchen die oppositionelle Union schon eine Ampel-"Scheidungsurkunde" wittert. Wie kann das sein? 

Grüne Zurückhaltung: Es gibt zwei Gründe

Zunächst zu Nouripours Antwort: Der Parteichef kam am Montag nicht einfach so davon – Journalistinnen und Journalisten fragten ihn im Anschluss an sein Statement gezielt nach den FDP-Forderungen. "Dass wir unterschiedliche Ansichten haben, dass auf Parteitagen unterschiedlicher Parteien verschiedene Beschlüsse gefasst werden, ist alles", sagte der Parteichef, "nur nicht besonders neu". Am Dienstag beschwichtigte Co-Fraktionschefin Katharina Dröge in ähnlicher Manier auf ähnliche Nachfragen: "Jeder von uns hat mal Parteitage." Der Tenor also: eine reine Angelegenheit der FDP, zur Beruhigung der eigenen Basis. Alles nicht so wild für die Ampel – und die Grünen. 

Doch ein anderer Grund für die Zurückhaltung könnte auch eine neue Strategie sein. Denn am Fall des FDP-Papiers dürfte sich in der Praxis zeigen, was sich die Grünen fest vorgenommen haben – Streitigkeiten weniger in die Öffentlichkeit zu tragen. Oder zumindest weniger selbst dafür verantwortlich zu sein. Illusionen muss man sich natürlich nicht machen: Die "Ampel streitet über"-Schlagzeilen werden sich in dieser Legislatur wohl nicht mehr verhindern lassen.

Aber versuchen kann man es ja mal, auch wenn es nicht immer gelingt. Am jüngsten Beispiel deuteten die Grünen diesen Kurs zumindest an: Fraktionschefin Dröge sagte, man befinde sich schon in "genügend Diskussionsprozessen" in der Koalition. Parteichef Nouripour wies darauf hin, dass man doch schon viel über "Zerwürfnisse" geredet habe, die "zuweilen zu schrill und zu laut" seien. 

Immer wieder führen Ampel-Vertreter die öffentlich ausgetragenen Streits als Grund für die schlechten Zustimmungswerte an. Zu Beginn des Jahres hatte Olaf Scholz, der Kanzler, dazu aufgerufen, weniger in der Öffentlichkeit zu streiten: "Leider ist es zu selten gelungen, wichtige Beschlüsse ohne langwierige öffentliche Auseinandersetzungen zu treffen. Das müssen wir uns ankreiden lassen", sagte er der "Zeit".

Problem der Ampel ist nicht rein kommunikativ

Allerdings kann auch die jüngste grüne Sparflamme nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Problem der Ampel kein rein kommunikatives ist. Es tun sich tiefe Gräben zwischen den Partnern auf – die sich seit dem Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem November nicht mehr einfach mit Geld zuschütten lassen.

Und so haben die Grünen zwar Recht damit, dass das FDP-Präsidium nicht zufällig gerade jetzt ein genau solches Papier beschlossen hat. Die "FDP pur"-Forderungen sollen die aufgebrachte Basis ein Stück weit besänftigen. Und es stimmt sicher auch, dass nicht alle solche Parteitagsforderungen eins zu eins umgesetzt werden – das ist bei den übrigen Parteien nicht anders.  

Aber was ist eigentlich, wenn die Zurückhaltung der Grünen die Liberalen sogar noch ermutigt durchzuziehen? Wenn die Schweigsamkeit die eigene Verhandlungsposition schwächt? Der FDP ist es ernst mit dem Konzept der "Wirtschaftswende" – schließlich hat die Partei, die in den jüngsten Umfragen nur auf fünf Prozent kommt, diese als Rettungsring ausgemacht. Das Kalkül: Die Wirtschaft muss angekurbelt werden, dass es uns selbst wieder besser geht.

Deshalb ist der FDP-Katalog, anders als von den Grünen dargestellt, kein reines Parteitagsgebrüll. Es wird für die FDP darauf ankommen, zumindest einige der Punkte auch tatsächlich unterzubringen. Über ein Konzept zur Stärkung der Wirtschaft verhandeln die drei Ampelpartner bereits. Und dann sind da ja auch noch die Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2025 – die tiefen Konflikte, die da aufbrechen, würden sich wohl selbst mit strikter öffentlicher Zurückhaltung nicht kaschieren lassen.

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