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Sozialpolitik Vorbild Finnland? So will Deutschland die Wohnungslosigkeit bekämpfen

Ein mutmaßlich von Wohnungslosigkeit Betroffener liegt in einem Schlafsack auf dem Bürgersteig
Hunderttausende Menschen in Deutschland haben keine eigene Wohnung. Der von Bundeskabinett beschlossene Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit versucht dies zu ändern.
© Schoening / Imago Images
Das Ziel ist ambitioniert: Bis 2030 sollen alle Menschen in Deutschland Zugang zu einer Wohnung haben. So sieht es ein Aktionsplan der Bauministerin vor. Doch ist das die Lösung gegen Obdachlosigkeit?

Die Bundesregierung will dafür sorgen, dass alle Wohnungs- und Obdachlosen bis 2030 Zugang zu einer Wohnung bekommen. Das Kabinett beschloss dafür einen von Bauministerin Klara Geywitz (SPD) vorgelegten Aktionsplan. Kernpunkt ist die Schaffung von mehr bezahlbaren Wohnungen – wie genau das gelingen soll, bleibt in dem Handlungsleitfaden allerdings vage.

Außerdem sollen Standards für die Unterbringung in Notunterkünften erarbeitet werden, die den Betroffenen mehr Privatsphäre bringen. Unter anderem sollen Frauen und Männer getrennt untergebracht werden können, wenn sie das möchten. Es soll zudem sichergestellt werden, dass alle Wohnungslosen krankenversichert sind.

Nur Schätzungen zur Zahl der Wohnungslosen

Wie viele Menschen in Deutschland keine Wohnung haben, weiß niemand genau. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) geht in ihren aktuellsten Schätzungen davon aus, dass im Verlauf des Jahres 2022 – aktuellere Zahlen liegen derzeit nicht vor – insgesamt 607.000 Menschen betroffen waren – manche temporär, manche über Monate oder das ganze Jahr. Darunter sind Menschen, die im Freien, in (U-)Bahnhöfen, Zelten oder Abbruchhäusern schlafen, ebenso auch jene, die bei Freunden und Verwandten unterkommen.

Vor der Vorstellung des Nationalen Aktionsplans gegen Wohnungslosigkeit hat der Deutsche Mieterbund (DMB) die darin vorgesehenen Schritte zur Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit als nicht ausreichend bezeichnet. Zwar seien die Vorhaben grundsätzlich zu begrüßen, sagte Mieterbund-Präsident Lukas Siebenkotten den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). "Die vorgeschlagenen Maßnahmen des Aktionsplans reichen jedoch nicht aus, um die Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden."

In Deutschland mangele es an bezahlbarem Wohnraum und die Mieten würden seit Jahren steigen. "Die aufgeführten Finanzhilfen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau sind nicht ausreichend, um den Rückgang des Sozialwohnungsbestandes aufzuhalten", so Siebenkotten weiter. "Leider soll es im Mietrecht keine über den Koalitionsvertrag hinausgehenden Impulse zur Senkung der Wohnkostenbelastung geben."

Vorbild Finnland?

Sehr viel konkreter in der Bekämpfung von Obdachlosigkeit zeigt sich Finnland. Dort setzt man das Projekt "Housing First" um. Obdachlose Menschen – die finnische Staatsbürger sind – bekommen ohne jegliche Voraussetzung eine Wohnung. Also ohne, dass beispielsweise von Suchtproblemen Betroffene zunächst einen Entzug machen müssten. Einzig auf Hilfsangebote und Beratung durch Sozialarbeiter müssen sich die Obdachlosen einlassen. Anschließend helfen die Sozialarbeiter bei Anträgen, Behördengängen und Alltagsschwierigkeiten. So gelinge es im Anschluss leichter, einen Job zu finden und auch andere Alltagsschwierigkeiten anzugehen. Der erste Schritt sind also die eigenen vier Wände – "Housing First" eben – alles andere kommt danach.

Ministerin Geiwitz erfuhr bei einer Reise nach Finnland 2023, wie sich das Projekt landesweit umzusetzen ließ: Es habe einen politischen Konsens über viele Legislaturperioden hinweg gegeben – und das parteiübergreifend. Nach Todesfällen in den 1980er-Jahren, als mehrere Tode unter den Obdachlosen aufgrund der Kälte zu beklagen waren, sei man sich in der finnischen Gesellschaft einig gewesen, dass es so nicht weitergehen könne.

Problem: Wohnungsbau

Politiker gründeten zusammen mit den Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Betrieben aus der Bauindustrie und der Baugewerkschaft die Y-Stiftung für bezahlbaren Wohnraum. Sie sorgte in der Folge für ausreichend verfügbare Unterkünfte und ist inzwischen Finnlands viertgrößter Vermieter.

Eine 1:1-Kopie von Finnlands Politik wäre jedoch – schon mangels freier Wohnungen in Deutschland –, nicht so schnell umsetzbar. Für 2024 geht die Baubranche von rund 235.000 fertiggestellten Wohnungen aus, das wären rund 25.000 weniger als im Vorjahr. Die Bundesregierung hatte sich ursprünglich zum Ziel gesetzt, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen.

Die nötigen Häuser in Finnland werden hingegen nicht nur von der freien Wirtschaft, sondern von staatlicher Hand, Nicht-Regierungsorganisationen und mit Gewinnen aus dem Glücksspielsektor finanziert, der in Finnland staatlich organisiert ist. Die Gewinne daraus beliefen sich beispielsweise im Jahr 2023 auf gut eine Milliarde Euro, in Deutschland wird von ca. fünf Milliarden Euro jährlicher Einnahmen des Staates aus diesem Bereich ausgegangen.

Quellen:  BAG W, "Kontrast", "Merkur", "Kreiszeitung", Tagesschau, mit DPA und AFP, RND (Bezahlinhalt)

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