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Parteitag in Berlin Die CDU ist noch lange nicht regierungsbereit

CDU-Spitze: Carsten Linnemann und Friedrich Merz
Wer will hier ins Kanzleramt? CDU-Chef Friedrich Merz (r.) mit Generalsekretär Carsten Linnemann beim Parteitag in Berlin-Neukölln
© Kay Nietfeld / DPA
Große Party, und was dahinter? Die CDU feiert sich. Aber es liegt noch verdammt viel inhaltliche Arbeit vor der Partei, wenn sie bald wieder regieren will.

Die Party ging bis tief in die Nacht. Das Ehepaar Merz bekam den Ehrentanz. Berlins Kultursenator Joe Chialo legte als DJ auf. Und Daniel Günther, im Hauptberuf Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, rockte so rastlos über die Bühne, als hätte er ein Carsten-Linnemann-Seminar für endlose Energie absolviert.

Kurzum: Die Stimmung bei den Christdemokraten ist so gut wie lange nicht. Drei Parteitagstage lang feierten die Delegierten im Berliner Estrel-Hotel das neue Programm, die stabilen Umfragewerte, Friedrich Merz, Markus Söder – und vor allem: sich selbst. Die Partei ist sich ihrer Sache sicher: Spätestens im Herbst 2025 regieren wir wieder. Olaf Scholz? Wer war nochmal Olaf Scholz?

Man darf sich von diesem wiederbelebten Selbstverständnis nicht täuschen lassen. Regierungsfähig ist diese Union noch lange nicht. Es bleibt viel zu tun. 

Was man jetzt weiß – und was nicht

Ja, die Partei hat sich inhaltlich erneuert. Sie hat ein neues Grundsatzprogramm beschlossen, es ist erst das vierte in ihrer Geschichte. Man weiß jetzt, dass die CDU die Wehrpflicht schrittweise wieder einführen und das Bürgergeld abschaffen möchte. Dass sie außenpolitisch enger mit Frankreich und Polen zusammenarbeiten will. Dass sie ein schärferes Asylrecht fordert, untere Einkommen entlasten und "auf die Option Kernkraft" nicht verzichten möchte.  

Man weiß auch, dass sich Deutschlands letzte Volkspartei entgegen mancher Befürchtung unter einem Vorsitzenden Friedrich Merz keinesfalls zu einer reaktionären Krawalltruppe entwickelt hat. Ansonsten weiß man herzlich wenig. 

Was hat die CDU mit diesem Land vor? Wie sähen die Reformen konkret aus, die sie tagtäglich von der Ampel fordert? Wie sollen sie finanziert werden? 

Da war schon viel Schönes dabei

Es ist normalerweise völlig okay, ein Jahr vor einer Bundestagswahl auf all diese Fragen noch keine abschließenden Antworten zu haben. Die Parteispitze sollte nur dann nicht so betonen, SPÄTESTENS im Herbst 2025 das Kanzleramt übernehmen zu wollen. Wer als größte Oppositionspartei immerzu mit einem vorzeitigen Ampel-Aus kokettiert, nimmt sich selbst in Verantwortung. Eine Verantwortung, der die Union noch nicht gerecht wird. 

Dabei war eigentlich, wie man so sagt, schon viel Schönes dabei.

Vor einem Jahr etwa wurden ein paar konkrete Vorschläge aus dem Programmprozess bekannt. Einer Fachkommission unter Vorsitz von Jens Spahn diskutierte zum Beispiel eine Steuererhöhung für Spitzenverdiener. Ja, richtig gelesen, Steuererhöhung für Reiche. In den Groko-Regierungsjahren war das mit der CDU nicht zu machen gewesen (mit der CSU erst recht nicht). Jetzt sollten punktuelle Anhebungen möglich sein, um mit den zusätzlichen Einnahmen mittlere Einkommensbezieher zu entlasten. Opposition mit Taschenrechner – na, geht doch!

Auch an die Erbschaftssteuer traute sich die Spahn-Kommission und schlug einen einheitlich niedrigen Steuersatz von zehn Prozent auf das gesamte zu übertragende Vermögen vor. Persönliche Freibeträge würden dann für alle Erbschaften gleichermaßen gelten. Für so eine Reform – niedriger Satz, ohne Ausnahmen – werben Ökonomen seit Jahren.

Was traut sich die CDU wirklich?

Die Vorschläge, viel zu konkret für ein Grundsatzprogramm, waren ein Testballon. Wie käme das an, wenn die CDU mal wirklich etwas wagt, ein bisschen ins Risiko geht? Wie erwartet gab es heftigen Widerstand von Deutschlands wohl mächtigster Lobby, den Familienunternehmen, die bisher stark von den Ausnahmen bei der Erbschaftssteuer profitieren. Dass die CDU diesen Widerspruch ein paar Wochen aushielt, war ein ermutigendes Zeichen dafür, dass Merz, Linnemann und Co. es wirklich ernst meinten mit der Erneuerung.

Die Frage ist nun, ein Jahr später: Was traut sich die Partei wirklich? Jetzt, wo doch alles nach Plan läuft und Merz eine durchschnittliche Rede aus der Kategorie „bloß keine Fehler machen“ hielt. Risikovermeidung als oberste Christdemokraten-Pflicht? Hoffentlich nicht!

K-Frage der Union: Oder doch Markus Söder?

Die Kanzler-Frage der Union: Oder doch Markus Söder?

05:11 min

Nach dem Parteitag ist vor der Bundestagswahl. Das gilt nicht nur für die K-Frage, das gilt insbesondere für die inhaltliche Aufstellung. Das bleibt die große Baustelle der CDU. Auch weiterhin. Ein Grundsatzprogramm klärt, klar, Grundsätzliches. Für die handfesten Dinge gibt es ein Wahlprogramm. In der Vergangenheit sind CDU und CSU allerdings immer gut damit gefahren, auch das nicht allzu konkret zu gestalten. Und dann waren sie auf einmal blank.

Wenn nun die Arbeit an den ersten Entwürfen beginnt, wird sich zeigen, ob die Union tatsächlich aus der Erfahrung von 2021 gelernt hat. Oder ob die große Berliner Partynacht einmal als bitterer Moment in die Parteigeschichte eingehen wird: wie schade, leider zu früh gefreut.

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