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Schwangerschaftsabbruch Hört auf mit dem Lagergebrüll

Aktivistinnen streichen symbolisch den Abtreibungs-Paragrafen 218 
Aktivistinnen streichen symbolisch den Abtreibungs-Paragrafen 218 
© Emmanuele Contini / Imago Images
Seit zwei Wochen wird diskutiert, ob Abtreibungen illegal bleiben sollen. Die Extremen sind besonders laut. Doch Umfragen zeigen: Die Deutschen sind nicht polarisiert. Ein Plädoyer für mehr Kompromissbereitschaft.

Sollen Abtreibungen legal werden? Darüber diskutieren wir so intensiv wie lange nicht mehr. Leider ist die öffentliche Debatte erwartbar festgefahren. Denn: Konservative und Progressive argumentieren oft viel zu starr und zeigen keine Empathie für die Gegenseite. Man möchte ihnen zurufen: Doch, ein Kompromiss ist möglich. Euer ewiges Lagerdenken nervt. 

Was ist passiert? Mitte April hatte eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission empfohlen, Schwangerschaftsabbrüche in der Frühphase zu legalisieren. Zur Erinnerung: Abtreibungen sind in Deutschland illegal. "Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft" – so beginnt der berühmte Paragraf 218 im Strafgesetzbuch. Innerhalb der ersten zwölf Wochen bleibt eine Abtreibung aber straffrei, wenn die Schwangere bei einer anerkannten Beratungsstelle war. Paragraf 218 steht übrigens im Abschnitt "Straftaten gegen das Leben". Neben Mord, Totschlag und Tötung. 

Zwei Fronten, kein Kompromiss

Öffentlich kämpfen nun also zwei erbitterte Seiten gegeneinander, die sich keinen Zentimeter aufeinander zubewegen. Das fängt schon bei der Sprache an. Will man sachlich formulieren, sagt man Embryo oder später Fetus. Aber die eine Seite schreit: "Es ist ein Kind!" Und die andere Seite brüllt: "Es ist ein Zellhaufen!" Emotionale Lagerpolemik. Konservative wollen, dass Abtreibungen weiterhin strafbar bleiben. Progressive fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche legal werden – ohne Fristen, ohne Beratungspflicht. Kompromisslosigkeit auf beiden Seiten. 

Plakat bei einer Feministischen Demonstration in München, 2021
Plakat bei einer Feministischen Demonstration in München, 2021
© IMAGO / aal.photo

Aber: Keine der beiden Positionen entspricht dem Willen der Bevölkerung. 72 Prozent der Deutschen sind dafür, Abtreibungen künftig innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen ohne Einschränkungen zu erlauben. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag von ntv. Das heißt: Ja, Abtreibungen sollen legal sein – aber bitte nicht fristenlos.

Die Deutschen sind sich also ziemlich einig. Deswegen ist es Quatsch, wenn Konservative jetzt mahnen, mit dem Abtreibungsthema spalte man die Gesellschaft. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt behauptete, die bisherige Regelung habe für "gesellschaftlichen Frieden" gesorgt, der nun in Gefahr sei, CDU-Chef Friedrich Merz warnte vor einem "gesellschaftlichen Großkonflikt", und die CSU-Politikerin Dorothee Bär behauptete, die Ampelregierung riskiere damit eine "gefährliche Spaltung". Das ist billige Oppositionspolitik. Mehr noch: Es sind floskelhafte Scheinargumente, die eine Polarisierung herbeifantasieren, wo relative Einigkeit herrscht. 

Herrscht wirklich "gesellschaftlicher Frieden"?

Trotzdem wollen Konservative künftig an Paragraf 218 festhalten. Die CDU fordert, dass Schwangerschaftsabbrüche weiter rechtswidrig bleiben – obwohl die Mehrheit der Deutschen das nicht will. Man darf anzweifeln, ob dieses politische Missverhältnis dem "gesellschaftlichen Frieden" dauerhaft so guttut. Nun ja.

Auf der anderen Seite stehen Progressive. Verständlicherweise fordern Pro-Choice-Aktivistinnen mehr Selbstbestimmung für die Frau. Ihre Forderung, den Schwangerschaftsabbruch endlich zu legalisieren, ist längst überfällig. Zwar wurde Paragraf 218 reformiert – aber er steht seit 152 Jahren im Strafgesetzbuch. Seit dem Kaiserreich sind Abtreibungen eine Straftat. Das ist nicht mehr hinnehmbar. 

Der Kleiderbügel: Das Symbol für Abtreibungsrechte
Der Kleiderbügel: Das Symbol für Abtreibungsrechte
© IMAGO / Steinach

Aber wenn Progressive ungeborenes Leben einfach nur "Zellhaufen" nennen, zeugt das auch von einem zynisch-kalten Blick. Als wäre ungeborenes Leben wie Biomüll: leicht zu entsorgen. So klingt die komplexe Entscheidung einer Abtreibung weitaus kleiner als sie ist. Das ist empathielos. Ja, am Anfang ist es biologisch betrachtet ein Zellhaufen. Aber daraus entwickelt sich ein Embryo. Und wird zum Fetus. Für uns sollte das heißen: Die Rechte des Embryos nehmen mit andauernder Schwangerschaft zu. Bei der Empfängnis sind sie nicht gleichbedeutend mit den Rechten der Frau – natürlich sollte das Selbstbestimmungsrecht der Frau da viel mehr zählen. Aber aus dem "Zellhaufen" entwickelt sich nun mal mit der Zeit ein kleiner Mensch. Der Zeitpunkt einer Schwangerschaft ist eben nicht egal – weder bei der Wortwahl noch bei der Abtreibung selbst. Deswegen müssen Progressive glaubhaft anerkennen, dass ungeborenes Leben auch Schutz verdient. Dass die CDU als christliche Partei diesen Schutz betont, ist nicht verwerflich, sondern folgerichtig. 

Doch, es gäbe einen Kompromiss

Klingt alles ziemlich vertrackt. Ist es aber nicht. Ein Kompromiss zwischen Progressiven und Konservativen ist möglich: Warum nicht Abtreibungen in den ersten zwölf Wochen legalisieren – und die Beratungspflicht beibehalten? 

"Keine Zwangsberatung" würden Pro-Choice-Aktivistinnen jetzt antworten. Dass Aktivistinnen das Maximum fordern (Entkriminalisierung, keine Fristen, keine Beratungspflicht), ist strategisch verständlich. Man geht ja auch nicht in eine Gehaltsverhandlung und sagt: "Geben Sie mir so wenig wie möglich." Fest steht aber: Die Beratungsangebote waren und bleiben extrem wichtig. Die Beratungspflicht beizubehalten, wäre ein schönes Signal von den Progressiven an die Konservativen. Nach dem Motto: Das ungeborene Leben ist uns nicht egal – natürlich sollte man darüber sprechen. Ergebnisoffen und urteilsfrei. Ganz klar.

Abtreibungen legalisieren, Beratungspflicht beibehalten

Man brauche auch kein Strafrecht für die Beratungspflicht, betont die Medizinethikerin Prof. Dr. Christiane Woopen in einem Interview. Für den Gesetzgeber sei es durchaus möglich, Abtreibungen zu legalisieren – gleichzeitig aber eine Beratungspflicht beizubehalten, sagt sie. Wer dagegen verstößt, begeht dann eine Ordnungswidrigkeit, keine Straftat. Nur mit der Pflicht kommen auch Menschen in die Beratungsstelle, die besonders hilfsbedürftig sind: Frauen aus Gewalthaushalten. Die sind euch doch auch wichtig – oder, liebe Progressive? 

Und an alle Konservative: Ihr könnt ja für euch selbst einen Schwangerschaftsabbruch ablehnen. Niemand zwingt euch dazu. Aber wie könnt ihr euch anmaßen, das Entscheidungsrecht anderer Menschen zu kriminalisieren — und das bei der existentiellsten Frage überhaupt?

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