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Covid-19-Ausbreitung Der unbekannte Patient 0: Warum es in Italien plötzlich so viele Corona-Fälle gibt

Auch in Rom tragen immer mehr Touristen und Einheimische Atemschutzmasken – wie hier auf dem Petersplatz
Auch in Rom tragen immer mehr Touristen und Einheimische Atemschutzmasken – wie hier auf dem Petersplatz. Es wird befürchtet, dass sich das Coronavirus von Norditalien weiter in Richtung Süden ausbreitet
© Picture Alliance
Das Virus sei kaum noch einzudämmen, sagte die WHO am Montag. Und tatsächlich: Jetzt breitet sich der Corona-Erreger auch in Europa stark aus. Besonders betroffen ist Italien. Aber warum eigentlich? 

Zehn italienische Gemeinden sind mittlerweile Sperrzone, Sicherheitskräfte kontrollieren, wer rein und raus darf. Das öffentliche Leben steht mancherorts praktisch still. Schulen, Universitäten und Museen bleiben geschlossen. Die Post wird in vielen Orten nicht mehr zugestellt. Auch der Karneval von Venedig, der bis Dienstag gehen sollte, ist abgesagt. Der italienische Skiverband hat bereits alle seine Veranstaltungen im Land für eine ganze Woche ausgesetzt, Fußballspiele in der Seria A und Europa League finden vor leeren Rängen statt.

Das Coronavirus hat sich in Italien rasend schnell ausgebreitet. Das Land hat mit Abstand die meisten erfassten Fälle in Europa. Aber warum ist Italien so heftig betroffen? Forscher und Medien haben drei Haupt-Gründe ausgemacht.

1. Italien testet mehr als andere Länder

Wie die italienische Tageszeitung "La Repubblica" beobachtet hat, werden in Italien derzeit schlichtweg mehr Menschen auf das Coronavirus getestet als andernorts in Europa. In Frankreich etwa seien bisher 300 Personen entsprechend untersucht worden, in Italien dagegen haben man 3000 Menschen den sogenannten "Teppichtests" unterzogen – massenhaften Rachen-Abstrichen. Oder, wie es die Zeitung "Il Fatto Quotidiano" am Dienstag im Hinblick auf mögliche Infizierte auf ihrer Titelseite salopp zusammenfasst: "Wir suchen sie, andere Länder pfeifen auf sie" 

2. Der unbekannte Patient 0

Angesichts der aktuellen Lage hat Italien einen Sonderberater in Sachen Corona ernannt: Der Arzt Walter Ricciardi ist selbst Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und soll der Regierung zur Seite stehen. Er sagte in einem Interview mit der Zeitung "La Stampa", es sei ein schwerer Fehler gewesen, Direktflüge von und nach China einzustellen.

Dadurch seien Passagiere gezwungen gewesen, auf Umsteigeverbindungen auszuweichen – "mit dem Ergebnis, dass niemand weiß, wer und wann tatsächlich aus China angekommen ist", analysierte die Zeitung "La Repubblica". Und das wiederum habe zur Folge gehabt, dass potenzielle Corona-Patienten nicht schnell und einfach hätten identifiziert werden können. Somit sei völlig unklar, wer das Virus nach Italien gebracht habe – der "Patient Null" sei unbekannt.

Im Gegensatz zu Italien seien Deutschland, Frankreich und Großbritannien den Empfehlungen der WHO gefolgt und hätten Direktflüge eben nicht eingestellt. Dadurch sei es leichter gewesen, Erkrankten "zu folgen und sie unter Quarantäne zu stellen", schrieb "La Repubblica". Nur so könnte die Weitergabe des Virus' verhindert werden.

3. Die Rolle der italienischen Krankenhäuser

Eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Infektion haben auch die italienischen Krankenhäuser gespielt. Wie der Notfall-Kommissar der Regierung, Angelo Borrelli, im Gespräch mit der Zeitung "Corriere della Sera" sagte, "mangelte [es] an Wissen beim Gesundheitspersonal, die die Symptome des Virus nicht sofort erkennen konnten." Im Krankenhaus in Codogno, wo der erste bekannt gewordene Fall von Covid-19 eingeliefert worden war, infizierten sich demnach mindestens fünf Ärzte und Krankenschwestern mit dem Virus. Auch in Dolo, wo es einen Corona-Fall gab, steckten sich ein Arzt, eine Krankenschwester und weiteres Personal an.

"Es gab Situationen, in denen wir die Symptome des Virus nicht sofort erkennen konnten", sagte Borrelli weiter und betonte, dass es nicht die "Schuld" der Ärzte sei, sondern die "Schwierigkeit", die Symptome zu erkennen und richtig einzuordnen. Der Virologe Fabrizio Pregliasco ergänzte: "Differentialdiagnosen zur Abgrenzung von anderen Krankheiten werden durchgeführt, wenn auf einem bestimmtem Erreger ein besonderes Augenmerk liegt." In Italien sei bis vor Kurzem aber kein Corona-Fall bekannt gewesen. 

Hinzu kommt: Im Krankenhaus befinden sich ohnehin oft immungeschwächte Menschen, die sich leichter mit einem Virus anstecken können als gesunde.

Premierminister Conte greift Krankenhäuser und Provinzregierung an

Der Umgang mit dem Coronavirus seitens der betroffenen Krankenhäuser sei fehlerhaft gewesen, sagte am Dienstag der italienische Premierminister Giuseppe Conte. "Es gab einen Hotspot und von dort hat sich das Virus ausgebreitet, teilweise aufgrund des Managements eines Krankenhauses, das nicht komplett nach den protokollierten Vorsichtsmaßnahmen gehandelt hat, die in diesen Fällen empfohlen werden", so Conte. Das habe "zur Ausbreitung beigetragen."

Der Gouverneur der Lombardei wies diese Vorwürfe scharf zurück: "Ich hoffe, das war ein Versprecher, der ihm unbewusst rausgerutscht ist", sagte Attilio Fondana dem Radiosender RAI. Andernfalls hieße das, "dass die Regierung langsam anfängt, außer Kontrolle zu geraten."

Contes Behauptungen seien "haltlos und inakzeptabel", sagte auch der Gesundheitsbeauftragte der Lombardei, Giulio Gallera. Conte sei eine "unwissende Person, weil er nicht weiß", wie die Protokolle, die das Institut für Gesundheit (ISS) aufgesetzt hätten, aussehen, so Gallera. "Wir sind den Entscheidungen des ISS und den Richtlinien des Ministeriums sklavenhaft gefolgt."

Weitere Infektionen in Italien

Unterdessen breitet sich das Virus vom bislang hauptsächlich betroffenen Norditalien in Richtung Süden aus. Auch aus der Toskana und Sizilien werden Infektionsfälle gemeldet: Der italienische Zivilschutz teilte mit, das neuartige Coronavirus sei inzwischen auch bei zwei Menschen in Florenz in Pistoia festgestellt worden. Auch eine Urlauberin aus der Lombardei in der sizilianischen Hauptstadt Palermo wurde demnach positiv getestet, das Ergebnis eines zweiten Tests stehe noch aus. Die Reisegruppe der Frau wurde vorerst unter Quarantäne gestellt, Hotelmitarbeiter isoliert.

Seit Montag wurden landesweit insgesamt mehr als 50 Neuinfektionen gemeldet, damit stieg die Zahl der Ansteckungen auf 283.

Erste Länder stellten bereits Flugverbindungen nach Italien ein, darunter Kuwait, Südkorea und Thailand. Premierminister Conte warnte ausländische Regierungen davor, die Reisefreiheit italienischer Staatsbürger einzuschränken: Das sei "inakzeptabel".

Quellen:"La Repubblica", "La Stampa", "Corriere della Sera", Nachrichtenagenturen DPA, AFP, ANSA

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