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Paragraf 218 "Ich habe abgetrieben – diese Worte muss ich als Frau sagen dürfen"

Banner weg mit Paragraph 218 vor Brandenburger Tor Recht auf Abtreibung
Weg damit: Protest gegen Paragraf 218 in Berlin. Um das Thema Abtreibung tobt eine heftige Debatte.
© Imago Images
Als unsere Autorin vor 25 Jahren eine Abtreibung hatte, waren Angst und Scham so groß wie die heutiger junger Frauen. Eines aber war damals anders: Die große Zuversicht, bei der Entscheidung über den eigenen Körper im Recht zu sein. 

"Wir haben abgetrieben", mit diesen Worten schrieb Alice Schwarzer im stern 1971 ein neues Kapitel feministischer Zeitgeschichte: 374 Frauen bekannten sich öffentlich zu ihrer Abtreibung, ihre Forderung war die Streichung des Strafgesetz-Paragrafen 218. Gegen die Kriminalisierung, für die freie Entscheidung von Frauen. 

"Ich habe abgetrieben" – mehr als ein halbes Jahrhundert später sind das Worte, die ich als Frau sagen dürfen muss, ohne großen Mut, ohne Scham. Und ohne Angst vor fanatischen Fundamentalistinnen oder sonstigen Abtreibungs-Gegnern, die sich hinter zahlreichen konservativ christlichen Organisationen verbergen. Es sind Worte, die ich schreiben will, ohne des Exhibitionismus, der Provokation, des Wahnsinns oder der Wichtigtuerei bezichtigt zu werden. Ohne als Straftäterin gebrandmarkt zu sein. Denn das ist der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft bis zum heutigen Tag.

"Bis jetzt ist es nur ein Zellhaufen", sagte mein Gynäkologe vor der Abtreibung

Und trotzdem fühlen sich diese Worte immer noch mulmig an. Meine Abtreibungsgeschichte spielt Ende der 90er Jahre, Alices Schwarzers Manifest ist da längst fest im Mindset der "Sex & the City"-Frauen verankert: Mein Bauch, meine Entscheidung, und eh nichts, was meine Würde als Frau beschädigen könnte. Aus der geforderten Streichung aus dem Strafgesetzbuch ist in der Zwischenzeit ein symbolisches Schein-Gesetz geworden, im Kern ein fauler Kompromiss: Schwangerschaftsabbrüche sind zwar verboten, können mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden, bleiben jedoch unter zwei Bedingungen straffrei: einem Beratungsgespräch. Und einer dreitägigen Mindestfrist vor dem Abbruchtermin.

"Bis jetzt ist es nur ein Zellhaufen", sagte damals mein wunderbarer Gynäkologe, das bevorstehende Beratungsgespräch nannte er (wohl aufgrund des eigenen liberalen Wunschdenkens) eine "reine Formalität". Doch mich begleiten seit 25 Jahren nicht diese entlastenden Worte, sondern der Rat der "Pro Familia"-Mitarbeiterin: "Versuchen Sie doch nochmal, sich mit dem Kindsvater zu arrangieren. Irgendein Weg findet sich immer." Irgendein Weg? Kindsvater? Ihren Appell an meinen Mutterinstinkt zur "Austragungspflicht" empfand ich als übergriffig, als staatliche Einmischung in meine sehr intime, ohnehin traurige Angelegenheit. Fast fühlte ich mich wie in Margret Atwoods dystopischen Roman "Handmaid's Tale" versetzt, wo Frauen einer brutalen Gebär-Dikatur unterworfen werden.

Frankreich geht mit leuchtendem Beispiel voran

Jetzt soll der Paragraf weg. Endlich! Das ist nicht nur gut für das progressive Image eines westlichen Rechtsstaates, wo Abtreibungs-Regeln in 150 Jahren genau einmal reformiert wurden. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland seit langem liberaleren Ländern hinterher. Laut Thinktank "Center for Reproductive Rights" haben in 25 Jahren 60 Länder ihre Gesetze zu Frauenrechten reformiert. In Europa geht Frankreich mit leuchtendem Beispiel voran, dort wurde die "Freiheit zur Abtreibung" kürzlich in der Verfassung verankert. 

Doch wie vor jeder Reform sehen Kritiker unsere Gesellschaft in einer fragilen Phase, wo eine Liberalisierung polarisiere und schlimmstenfalls explodiere. Durch die Empfehlung der Expertinnen-Kommission (ja, nur Frauen haben das Papier erarbeitet!) werde jetzt ohne Not eine Diskussion ins Land getragen, ja, die Regierung sei dabei, die Büchse der Pandora zu öffnen, sagte Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU, gerade in der "Zeit". Als schlechtes Beispiel nennt Krings das Wirken militanter Abtreibungsgegner in US-amerikanischen Bundesstaaten, die momentan Gesetze aus dem Mittelalter wieder einsetzen. Auch in Polen führen diese Diskussionen zu einer extremen gesellschaftlichen Spaltung.

Aber welche Wahl haben wir? Außer tapfer dagegen zu halten für unser stolzes, demokratisches Gesicht? Gerade in Zeiten, wo Parteien wie die AfD im Bundestag sitzen und rückschrittliche Abtreibungsverbote fordern, die zu ihrem 1950er-Jahre-Bild von Vielfach-Müttern mit Blumenschürzen passen? Schon aus demografischen Gründen wollen sie deutsche Frauen wieder zum Kinderkriegen bringen, gern auch mehr als nur zwei pro Frau. 

Macht der Feminismus gerade einen U-Turn?

Als ich vor 25 Jahren jung und ungewollt schwanger wurde, waren viele andere Tabus bereits gefallen: Wir debattierten über abseitige Sexual-Praktiken, Komplikationen bei Geburten, Leute prahlten mit Gang Bangs oder der Zahl ihrer Geschlechtspartnern. Hin und wieder wagte es eine von uns, über ihre Abtreibung zu reden, zumindest nach dem zweiten Martini. Und doch hatten wir damals nicht weniger Schamgefühl, weniger Zweifel oder weniger Angst als junge Erwachsene heute. Was wir allerdings hatten, war eine tiefe, moralische Zuversicht, im Recht zu sein, eigenständig über unsere Körper und unsere Zukunft entscheiden zu können. Dazu gehörte, wann wir Mütter werden wollten – oder auch nicht. Alice Schwarzer hat viel dazu beigetragen. 

Umso erschreckender wirkt der Blick auf neuere Erhebungen zur Abschaffung von Paragraf 218: Auf eine ZDF-Umfrage "Soll Abtreibung eine Straftat bleiben?" antworteten 54 Prozent der befragten Deutschen mit "ja". Laut der parallel zum Kommissionsbericht veröffentlichten "Elsa-Studie" vom Bundesministerium für Gesundheit wollen mehr als die Hälfte der befragten Frauen ihren Schwangerschafts-Abbruch geheim halten, aus Angst, dass andere schlecht über sie denken oder sprechen könnten. Macht der Feminismus also gerade einen U-Turn? 

In das geplante Gesetz zur "reproduktiven Selbstbestimmung der Frau" spielt nun auch noch die moderne Reproduktionsmedizin mit herein, was neue soziale, ethische und moralische Fragen aufruft. Schon sprechen Kritikerinnen von "Tötungen" menschlichen Lebens nach künstlicher Befruchtung, wo überschüssige Eizellen vernichtet werden, weil logischerweise nur wenige Frauen Mehrlinge austragen wollen. Alice Schwarzers Triumphgefühl über die mögliche Reform des Paragrafen 218 hält sich deshalb in Grenzen. "Da ich seit 1971 für das Recht auf Abtreibung kämpfe, bin ich natürlich erleichtert, dass das endlich kommt! Trotzdem bin ich gegen Legalisierung der Leihmutterschaft! Gegen Frauen als Gebärmaschinen und Kinder als Ware. Dass beides – das Recht auf Abtreibung und die Leihmutterschaft, jetzt in einem Atemzug diskutiert wird, als gehöre es zusammen, finde ich skandalös!", sagte sie dem stern.

Und dennoch: Dass Paragraf 218 nach 150 Jahren endlich kippen wird (wenn wohl auch nicht mehr in dieser Legislatur), ist ein überfälliger Schritt. Als demokratiewürdige Grundlage, die die Werte einer westlichen Gesellschaft repräsentiert. Für die Frauen, für Freiheit.

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