Noch am Montagabend traf sich der Bundesvorstand der AfD, wie er es jede Woche tut. Thema war da noch der Fall des Europakandidaten Petr Bystron, der unter starkem Verdacht steht, für politische Einflussnahme Geld aus dunklen Kanälen angenommen zu haben. Auch Maximilian Krah war zugegen, der Spitzenkandidat der Partei für die Europawahl. Da ahnte wohl noch keiner, dass nur zwölf Stunden später Krahs Brüsseler Assistent Jian G. festgenommen sein würde

Krahs enger Mitarbeiter im Parlamentsbüro der EU-Zentrale, ein Dresdner mit chinesischen Wurzeln, soll für China spioniert und Informationen aus dem Europaparlament weitergegeben haben. Das teilte die Bundesanwaltschaft mit. 

Das lenkt den Blick auf den Spitzenkandidaten selbst. Dass Maximilian Krah persönlich ebenfalls große Sympathie für China hegt und enge Kontakte in das kommunistische Land pflegt, ist seit Jahren bekannt. In der AfD wird das nicht erst seit seiner Spitzenkandidatur mit Argwohn gesehen. Andere rechtspopulistische Parteien in Europa gingen auch deshalb schon auf Distanz zur AfD. Ohnehin hat Krah bei potenziellen europäischen Partnerparteien der AfD keinen besonders guten Ruf. Unter anderem, weil er sich zunehmend rassistisch, etwa über den Intelligenzgrad von Ausländern, oder abwertend über Frauen äußert. Zudem steigt die Nervosität in der Parteiführung, weil seit Monaten die Umfragewerte fallen. Und die Skandale wirken nicht besonders motivierend für freiwillige Wahlkampfhelfer, die die Partei auch für die Kommunal- und Landtagswahlen in diesem Jahr dringend benötigt.

Nach Berlin zurückbeordert

Nun hat der Ärger um Krah eine neue Eskalationsstufe erreicht, diplomatisch wie innerparteilich: China hat sich nach der Festnahme gemeldet, das Außenministerium in Peking klagt über Verleumdung und Einmischung in innere Angelegenheiten. Und die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla haben Krah aus Straßburg nach Berlin zurückbeordert, zum persönlichen Gespräch zu später Stunde. Auch wenn Krah derzeit juristisch nichts vorgeworfen wird, werden Konsequenzen diskutiert, wie ein Rückzug aus dem aktiven Wahlkampf oder der Verzicht auf die künftige Führung der AfD-Delegation im Europaparlament. Denkbar ist sogar, dass Krah freiwillig auf das Mandat verzichten soll.  

Ein Spion inmitten des Europaparlaments, in einem Büro der AfD – das widerstrebt nicht nur der Parteiführung um Tino Chrupalla, die die AfD gern als "Rechtsstaatspartei" bezeichnet: "Sehr beunruhigt" sei die Parteispitze, hieß es in einer ersten Reaktion auf die Festnahme. Von der geltenden Unschuldsvermutung war – anders als bei vergleichbaren Fällen – keine Rede. 

Auch die Parteibasis diskutiert in ihren Onlinechats konkret, ob Krah als Spitzenkandidat noch der richtige ist. So deutlich wie nie realisiert die Parteibasis derzeit, wen sie sich da genau im vergangenen Jahr zum Spitzenkandidaten gewählt hat. 

Kaum jemand, der Krah noch begeistert unterstützt

Krah kam als Vertreter der bei Wahlen starken ostdeutschen Landesverbände an die Spitze. Aber der studierte Jurist, ehemalige Rechtsanwalt und gewandte Rhetoriker galt auch in der West-AfD als gut vermittelbar. Doch während er zum Europawahl-Parteitag der AfD im vergangenen Juli noch bejubelt wurde, hat sich das Klima mittlerweile gewandelt. AfD-Politiker, die ihn nach wie vor begeistert unterstützen, sind kaum mehr zu finden. Einer, der Krah damals mit an die Spitze brachte, sitzt im Landtag von Sachsen-Anhalt: Hans-Thomas Tillschneider vom extremistischen Flügel der AfD. Er sagt ZEIT ONLINE, gegen Krah und Bystron laufe "eine Geheimdienstkampagne". Man wolle beide kalt stellen, "weil sie unsere besten Politiker sind, die besten Pferde im Stall". Tillschneider gehört zu einem Teil der AfD, in der Verschwörungsglaube viel Raum findet. 

Eine ähnliche Erklärung hat der ebenfalls angezählte Bystron, der hinter Krah auf Listenplatz zwei kandidiert. Da die Populisten "überall in Europa auf dem Vormarsch sind", versuche man jetzt "uns mit allen Mitteln zu diffamieren, um unseren Sieg bei der EU-Wahl zu verhindern", sagt er ZEIT ONLINE. 

"In den Chatgruppen geht es hoch her"

Wer den Parteichef Chrupalla am Sonntag in der ARD-Talkrunde bei Caren Miosga erlebte, konnte den Frust über solche rhetorischen Auswüchse ungewohnt deutlich vernehmen: Mit Krahs Rassismus konfrontiert, versuchte er sich von seinem Landesverbandskollegen zu distanzieren, obwohl der seine Partei im Europa-Wahlkampf als Spitzenkandidat vertritt.

Und wer sich am Dienstag unter Bundes- und Landespolitikern der AfD umhörte, traf auf trotzige Entschlossenheit: Jetzt sei der letzte Moment gekommen, sich von Krah zu trennen, zitierte ein frustrierter Landespolitiker aus den zahlreichen Onlinechats der Partei. Andernfalls könne man nur mit Augen zu und durch bis zur Wahl durchhalten. "In den Chatgruppen geht es hoch her", hieß es. "Die Bundesspitze ist außer sich." Es gebe unter den Funktionären und Parlamentariern praktisch keinen, der noch für Krah in die Bresche springe. Viele Landesvorsitzende, sagt einer, seien "wegen seines windigen Charakters" von Anfang an gegen Krah als Spitzenkandidaten gewesen.

Krah versucht derweil, alle Verdachtsmomente von sich zu lenken: Als sich der Anschein erhärtete, dass Bystron Geld angenommen haben könnte, riet Krah ihm öffentlich, er solle den Wahlkampf ruhen lassen. Krah rückte auch von seinem festgenommenen Mitarbeiter ab, wenn auch nicht ganz so entschlossen: Sollte sich der Spionageverdacht bewahrheiten, müsse er das Dienstverhältnis lösen, schrieb er auf X. 

Dabei steht er, wie gesagt, selbst im Verdacht, sich mehr als geboten mit diktatorischen Regimen einzulassen: Seine Sympathie für russische Oligarchen oder seine Verbindungen in das kommunistisch regierte China sind bekannt. Auf dem Programm einer Reise stand auch ein Gespräch mit einer Abteilung der Kommunistischen Partei Chinas, die der Verfassungsschutz zum Geheimdienst des Landes zählt.

Das alles wird Krah Weidel und Chrupalla im Gespräch erklären müssen. Auf beiden lastet nun ein hoher Erwartungsdruck. "Das muss die Parteispitze klären", antworten die genervten Landesfunktionäre, nach möglichen Konsequenzen befragt. "Sie müssen Schaden von der Partei abwenden." 

Korrektur: G. wurde nicht verhaftet, sondern vorläufig festgenommen. Eine Entscheidung des Haftrichters ist noch nicht bekannt. Wir haben das im Text korrigiert.