FDP-Chef Christian Lindner hat eine Umkehr in der Wirtschaftspolitik gefordert. "Was wir brauchen, ist ein nüchterner Realismus", sagte Lindner auf dem Bundesparteitag der FDP in Berlin. Der Realismus müsse "Mut zum Handeln" hervorbringen, fuhr er fort: "Das verstehen wir unter Wirtschaftswende." Die Mahnungen aus der Wirtschaft vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit dürften nicht überhört werden. "Wenn ein Land in zehn Jahren von Platz sechs der Wettbewerbsfähigkeit auf Platz 22 zurückfällt, was ist dann dringlicher als eine Wende?" In den nächsten Jahren müsse der Ehrgeiz sein, von 22 wieder in die Weltspitze zurückzukehren, sagte er. 

Wachstum sei aber "kein Selbstzweck", sondern habe "einen tieferen Sinn", sagte Lindner zugleich mit Blick auf Kriege und geopolitische Krisen auf der Welt. Die militärische Unterstützung der Ukraine und die Finanzierung der deutschen Wehrausgaben könnten langfristig "nicht auf Pump erfolgen", sagte der Parteichef. "Dafür brauchen wir unsere Wirtschaftsleistung." Eine Wirtschaftswende sei nötig, weil "am Ende wirtschaftliche Stärke auch ein Faktor der Geopolitik ist".

Der Bundesfinanzminister forderte eine komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Die Abgabe sei "für Mittelstand, Handwerk und Industrie eine Sondersteuer für wirtschaftlichen Erfolg geworden", sagte Lindner. Er verwies darauf, dass vor dem Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Klage aus der FDP-Bundestagsfraktion anhängig sei. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass diese Klage erfolgreich sein könnte. Daher wäre es klug von der Bundesregierung, die Abgabe selbst schrittweise komplett abzuschaffen, anstatt sich vom Karlsruher Gericht letztlich dazu zwingen zu lassen, sagte der Minister.

Lindner kritisiert Kindergrundsicherung

Eine stagnierende Gesellschaft führe zu einem "hart ausgefochtenen Ellenbogenwettbewerb", warnte der Bundesfinanzminister. Die Gesellschaft insgesamt brauche wieder eine Wachstumsperspektive. "Anders gewendet: Wirtschafts- und wachstumsfreundliche Politik ist ein Gebot sozialer Gerechtigkeit."

Erneut stellte Lindner außerdem die Einführung der Kindergrundsicherung infrage. Die Pläne von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hätten "den Status der Absurdität erreicht", sagte Lindner. Er verwies darauf, dass die Pläne der Ministerin die Schaffung von bis zu 5.000 neuen Beamtenstellen erfordern und zudem bis zu 70.000 Menschen zum Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt bewegen könnten, weil sie keinen Anreiz mehr zum Arbeiten hätten. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Kindergrundsicherung auch ohne diese Effekte umgesetzt werden könnte, "dann sind wir Freie Demokraten offen", sagte Lindner. Ansonsten brauche es ein anderes Modell.

Ausdrücklich widersprach Lindner der Einschätzung von Ministerin Paus, wonach der Staat bei der Auszahlung der Hilfen an Familien mit Kindern in einer Bringschuld sei. "Das teile ich schon weltanschaulich nicht", sagte Lindner. "Es gibt eine Verantwortung der Bürger."