Was macht eigentlich die Opposition in diesen sogenannten Zeiten der Exekutive? Man könnte sagen: ziemlich genau das, was sie vorher schon gemacht hat. Die Grünen tun mit großer Anstrengung so, als würden sie schon mitregieren, die Linken erklären, dass man gerade jetzt besonders auf die Schwachen achten muss, die AfD vertieft sich in Machtkämpfen. Und die FDP?

Nun, auf gewisse Weise ist auch die FDP auf ihrem Kurs geblieben. Nur treibt das Kurshalten bei der FDP besondere Erkenntnisse hervor, die sich vorher zwar erahnen, aber so unverdünnt jetzt erst beobachten lassen. Besonders gut kann man dies an einem Satz erkennen, den die Freidemokraten gestern über Twitter verbreiteten. "Die Regieanweisungen aus der Regierung", über ein Ende der Corona-Schutzmaßnahmen "öffentlich nicht zu sprechen, überzeugen schon lange nicht mehr", erklärt er, und weiter: "Mundschutz ja, Maulkörbe nein!"

Man liest das und muss es gleich noch einmal lesen, weil man es nicht so recht glauben kann, aber diese zwei Worte stehen dort tatsächlich so: Maulkörbe, Regieanweisungen.

Kurz zurück in die vorcoronaische Zeit: Schon in den vergangenen Monaten konnte man erkennen, dass die FDP unter Christian Lindner eine strategische Entscheidung getroffen hatte. Sie verfolgte einen mehr oder weniger sanften Anti-Establishment-Kurs und hielt einen immer größeren Sicherheitsabstand zu jenen Orten, an denen man den "Mainstream" vermutete. Je unübersichtlicher die politische Mitte, desto klarer wurde es, wo die Liberalen standen. In der Leistungspartei FDP schimpfte man nun gerne auf Großstädter und sonstige Eliten und umschmeichelte stattdessen die "einfachen Leute". Dieselfahrer, Bauern, Arbeiter, denen er insbesondere eine Rettung vor den Zumutungen der Ökologie versprach.

Die Überzeichnung der Gegenseite wurde dabei zu Christian Lindners bevorzugtem Stilmittel. Die Grünen, die aus Deutschland ein "Land der veganen Radfahrer" machen wollen, die Klimademonstranten, die eine "Umerziehung" der Deutschen forderten und so weiter. Die mittelbare Konsequenz dieser Strategie war (man erinnert sich noch dunkel) die Kandidatur von Thomas Kemmerich in Thüringen, die Christian Lindner als "Statement" bezeichnete, mit dem man die linksgrüne Landesregierung zunächst ärgern wollte, bis aus dem Statement eine Regierungskrise wurde.

Dies alles war bereits mehr als die herkömmliche Arbeit einer Opposition. Es war die schrittweise Transformation einer Partei. Die Provokation wurde zur bevorzugten Methode, das Dagegensein zum liberalen Grundgefühl. Man muss dies im Übrigen nicht "rechts" nennen, denn ideologisch getrieben war diese Neuorientierung nicht. Vielmehr ging es um die Ästhetik des Protests, die Inszenierung als Kraft der Gegenreform, kurzum, um eine Form des gedämpften Populismus.

Die Entwicklung war also vorgezeichnet, und doch überrascht es, wie konsequent die FDP ihre Strategie in der Corona-Krise fortsetzt. Denn was gerade noch im Subtext zu erkennen war, springt einem nun ins Gesicht.

Der "Maulkorb" und die "Regieanweisungen" sind der ganz offensichtliche Versuch, die neue Krise mit alten Ressentiments aufzuladen: eine vermeintlich eingeschränkte "Meinungsfreiheit", eine Regierung, die Debatten irgendwie "unterdrückt" (wie auch immer das funktionieren soll) und die Öffentlichkeit beeinflusst. Sprachverbote, Diskursgrenzen, der Meinungskorridor, Sie wissen schon. Es ist eine Rhetorik des Mandarfjanichtmehr und Manwirdjawohlnoch, die immer freihändiger mit Begriffen und Vorurteilen umgeht, die seit einigen Jahren zum Inventar des Antiinstitutionellen und Systemskeptischen zählen.