Die Forderung des UN-Sicherheitsrates nach einer Waffenruhe in Gaza war gerade ein paar Stunden alt, als die Hamas eine Botschaft verkündete. Die Terrororganisation erklärte, zu ihrer Ursprungsforderung zurückzukehren. Ein Abkommen über eine Feuerpause werde es nur dann geben, wenn Israel alle Truppen aus Gaza abziehe. Kurz darauf erklärte Israel die Gespräche für gescheitert. 

Die Hamas wirkt stark, Israel in der Defensive: Das ist die Lage fast sechs Monate nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Selbst Israels engste Verbündete gehen mittlerweile auf Distanz. Zu sehr versucht Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, den Krieg gegen die Hamas für seine innenpolitischen Interessen zu nutzen. Zu wenig unternimmt die Regierung in Jerusalem, um den Forderungen seiner Verbündeten entgegenzukommen. Es fehlt an humanitärer Hilfe für Gaza – und an einem Plan für die Zeit nach dem Krieg. Aber während der internationale Druck auf Israel von Tag zu Tag wächst, wirkt die Hamas unverändert selbstbewusst. Und das, obwohl Israel erst vor Kurzem die Nummer drei in der Hamas-Führung, Marwan Issa, getötet hat. Wie kann das sein?

Beispiel Waffenruhe: Seit Monaten werden die internationalen Forderungen danach lauter. Erst vergangene Woche einigten sich die 27 Staats- und Regierungschefs der EU auf eine gemeinsame Erklärung. In ihr kritisierten sie die "katastrophale humanitäre Lage in Gaza und ihre unverhältnismäßigen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung". Außerdem beklagten sie die "Hungersnot, die durch die unzureichende Zufuhr von Hilfsgütern nach Gaza verursacht wird. Das ist logisch: Mit dem durch den Hamas-Angriff ausgelösten Einmarsch in das Palästinensergebiet ist Israel jetzt völkerrechtlich verantwortlich für die Folgen. 

Deshalb muss man sich zunächst Israels Fehler ansehen, um die Stärke der Hamas zu verstehen. Mehr als 30.000 Menschen sollen durch israelische Angriffe seit Kriegsbeginn getötet worden sein. Das sagt die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde in Gaza. Israel sagt, unter den Getöteten seien mehr als 12.000 Terroristen. Selbst dann bleiben noch fast 20.000 Zivilisten, was den Krieg in Gaza zu einem der tödlichsten seit Bestehen des israelisch-palästinensischen Konflikts macht. 

Israels Armee hat einen Strategiewechsel vollzogen

Während die Hamas als nicht staatlicher Akteur von einer Leerstelle im internationalen Recht profitiert, lässt sich Israel als Staat völkerrechtlich in die Pflicht nehmen. Die Regierung um Benjamin Netanjahu kann sich den Vorwürfen nicht einfach entziehen. Jedenfalls dann nicht, wenn sie gleichzeitig Israels demokratischen Charakter betont. Die Führung der Armee scheint das erkannt zu haben und hat einen Strategiewechsel in Gaza vollzogen. 

Zum einen kooperiert die Armee direkt mit Palästinensern, die nicht mehr mit der Hamas verbunden sind. Zum anderen erhalten die USA Zugang zu Gaza, sie können einen provisorischen Hafen an der Küste bauen. Armeesprecher Daniel Hagari zeigte sich in jüngsten Stellungnahmen dankbar und betonte, die Zusammenarbeit mit den USA sei noch nie so gut gewesen wie jetzt.

Derweil poltert Benjamin Netanjahu weiter. Am Dienstag erklärte er, eine von der Biden-Regierung angeforderte Delegation an israelischen Sicherheitsexperten nicht nach Washington schicken zu wollen. Damit wollte Netanjahu seinen Frust über die Enthaltung der USA bei der jüngsten UN-Resolution ausdrücken. Erreicht hat er das Gegenteil − und den Unmut von Israels wichtigstem Verbündeten erhöht. Die Biden-Regierung hatte nach der Delegation verlangt, um gemeinsam die Frage einer Operation in Rafah zu besprechen. Diese kündigt Netanjahu seit Wochen an. Für die USA würde eine Großoffensive in der Stadt im Süden von Gaza mit mehr als 1,5 Millionen Vertriebenen aber das Überschreiten einer roten Linie darstellen.