Pomp und Prunk kann Großbritannien besser als jedes andere Land. Und die Eröffnung einer neuen Legislaturperiode durch Königin Elisabeth II. ist einer der Höhepunkte auf diesem Feld. Selbst wer nichts von der Monarchie hält, ist beeindruckt, wenn sich Pall Mall in Westminster plötzlich in ein jahrhundertealtes Gemälde zu verwandeln scheint, mit goldener Kutsche, schwarz glänzenden Pferderücken, blitzenden Helmen und Uniformen.

Dennoch: Wenn die Königin die Liste der neuen Gesetze vorliest, mit der Krone auf ihrem weißen Haar, in Samt, Seide und Hermelin gekleidet, fällt etwas auf: Sie spricht von "my government", meiner Regierung. Genau das ist der Sinn dieser Zeremonie: Nicht die Königin regiert, sondern sie delegiert das Regieren an "ihre" Regierung. Die oberste Macht in dieser Demokratie hat nicht die Königin, sondern das Volk. Es wählt die Abgeordneten, die als seine Vertreter im Parlament sitzen. Ihnen gegenüber muss sich die Regierung rechtfertigen. Selbst die Königin muss – symbolisch – um Eintritt bitten, wenn sie kommt, um die – für das Volk – geplanten Gesetze zu verlesen. Die gesamte Zeremonie basiert auf dem Gedanken, dass eine Regierung mit einer Parlamentsmehrheit eine Politik im Sinne des Parlaments und des Volks verfolgt.

Gerade das aber ist derzeit nicht der Fall. Die Zeremonie, die an diesem Montag in Westminster nach jahrhundertealten Regeln abgespult wurde, kann trotz Krone, glitzernder Queen und ehrfurchtsvollem Strammstehen von Premierminister Boris Johnson nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier seit drei Jahren etwas schiefläuft.

Königin mit eiserner Miene

Das Parlament ist im Brexit-Prozedere der vergangenen drei Jahre von der ehemaligen Premierministerin Theresa May und danach von Johnson systematisch unterminiert worden. May wollte nicht, dass das Parlament beim Brexit ein Wort mitzureden hat. Dass das Parlament einen Brexit-Vertrag absegnen muss, erkämpfte die Unternehmerin Gina Miller vor dem Obersten Gerichtshof gegen die Regierung. Johnson versuchte gar, das Parlament für fünf Wochen kaltzustellen, um in dieser Zeit seine Politik eines No Deal vorantreiben zu können. Die Queen's Speech fand nur statt, weil Johnson eine neue Legislaturperiode eingeläutet hatte, um die davor übliche Aussetzung des Parlamentes ausnutzen zu können. Obwohl das Parlament protestierte, war der Gang vor den Supreme Court notwendig, um das Parlament zu schützen.  

Das sprichwörtliche Hofieren der Königin in Westminister kann ebenfalls nicht darüber hinwegtäuschen, dass Elisabeth II. noch nie von einer Regierung so in die Bredouille gebracht wurde wie unter Johnson. Es ist erst sechs Wochen her, da riet die Regierung der Königin, einer verfassungsrechtlich nicht erlaubten Aussetzung des Parlamentes zuzustimmen. Die Zeremonie an diesem Montag war eine ähnliche Farce: Die Königin präsentierte die Gesetze einer Regierung, der 45 Stimmen für eine Parlamentsmehrheit fehlen, die also die Gesetze im Zweifel nicht einmal durch das Parlament bekäme. Nach der eisernen Miene zu urteilen, mit der Elisabeth II. die von der Regierung für sie vorformulierte Rede runterlas, wird sie sich dessen bewusst gewesen sein.

Keine Einigung, keine Mehrheit, kein Haushalt

Das wichtigste Gesetz, das die Königin gleich zu Beginn ihrer Rede ankündigen musste, das Brexit-Einigungsgesetz (Brexit-Agreement-Bill), ist eine leere Worthülse. Es soll später ermöglichen, dass ein mit der Europäischen Union vereinbarter Austrittsvertrag rechtlich in britisches Recht umgemünzt werden kann. Dafür aber muss zunächst ein Austrittsvertrag vereinbart werden, woran die Verhandlungsdelegationen der Briten und der EU fieberhaft arbeiten. Noch ist nicht klar, ob sich beide Seiten bis zum EU-Gipfel am Donnerstag werden einigen können.

Derzeit gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder soll das komplexe Konzept umgesetzt werden, das Johnson vorgeschlagen hat. Dafür wäre mehr Zeit, also eine Fristverlängerung notwendig. Die wichtigste Idee ist offenbar, dass Nordirland mit Großbritannien die EU-Zollunion verlässt, aber gleichzeitig mit der EU ein Zollgebiet bildet, also entsprechende EU-Außenzölle erhebt. Das Konzept würde eine Zollgrenze in der Irischen See schaffen, eine hochkomplexe Verrechnung von Zöllen und die Herkunftskontrolle von Waren erforderlich machen. Die andere Möglichkeit: Wenn beide Seiten am Ende der Woche unbedingt eine Einigung präsentieren wollen, dann geht dies höchstwahrscheinlich nur mit dem ehemals geplanten Nordirland-Backstop, bei dem Nordirland Teil der EU-Zollunion bleibt. Derzeit ist nicht zu erkennen, welches Konzept auf der für Samstag anberaumten Sitzung des Parlaments genehmigt werden könnte.

"Gesetze, Traditionen und Regeln sind ohnehin nur Krücken"

Viele der 22 neuen Gesetze sind zweifelsfrei notwendig. Wenn die Arbeitnehmer-Freizügigkeit mit dem Brexit endet, wird es ein neues Einwanderungsgesetz geben müssen. Wenn es eine neue Aufsichtsbehörde im Gesundheitssystem, schärfere Bauvorschriften für die Verkleidung von Hochhäusern, härtere Strafen für Kriminelle und bessere Umweltvorschriften gegen Plastik geben soll, muss das gesetzlich geregelt werden. Aber bisher hat Johnson alle Abstimmungen im Parlament verloren. Am 6. November soll Finanzminister Sajid Javid den neuen Haushalt vorstellen. Es ist nicht einmal sicher, ob die Regierung das schafft.

"Die heutige Queen's Speech ist eine verfassungswidrige Wahlpropaganda, die sich Johnson bei der Queen erzwungen hat. Ich gehe nicht hin", twitterte der Labour-Abgeordnete Andrew Adonis. Johnson hingegen genoss den Pomp. Wie schrieb er einst in seinem autobiografischen Büchlein? "All die Gesetze, Traditionen und Regeln sind ohnehin nur Krücken, derer man sich auf seinem eigenen strauchelnden Wege bedient."

Anmerkung der Redaktion: Die Unternmehmerin Gina Miller (und nicht das Unterhaus, wie in einer ersten Version des Textes behauptet) hat vor Gericht durchgesetzt, dass das Parlament beim Brexit ein Mitspracherecht hat. Wir haben den Fehler korrigiert.