Wer Anfang der Achtzigerjahre in Westdeutschland geboren wurde und vor dem Fernseher aufgewachsen ist, wollte entweder Außerirdischer oder Stuntman werden oder eine paramilitärische Terrororganisation gründen. Das Kinder-TV der damaligen Zeit bestand im Wesentlichen aus den US-Serien Alf, Das A-Team und ein Ein Colt für alle Fälle. Man wurde also in dem Glauben groß, dass jederzeit ein Atomunfall passieren könnte, wie auf Alfs Heimatplaneten Melmac, oder man selbst eine Atombombe bauen müsste, wie in gefühlt allen Folgen des A-Teams, aus ein paar alten Benzinkanistern, Klebeband und anderen Dingen, die man an Tankstellen findet, im Wald oder bei einer rivalisierenden Terrororganisation. Wer wollte nicht voller Nostalgie auf diese Zeit zurückblicken?

Vier Leute, die ganz sicher wollen: Emily Blunt, Ryan Gosling, David Leitch und Kelly McCormick. Blunt und Gosling waren letztes Jahr Kitty und Ken, die oscarnominierten Sidekicks der Barbenheimer-Saga. Bei der Verleihung der Academy Awards gingen sie leer aus, hatten aber mit einer gemeinsamen Hommage an die Stuntmen der Filmbranche den zweitbesten Auftritt des Abends. (Den besten hatte bekanntlich Gosling allein.) Die Aktion geschah nicht ohne Hintergedanken: Drei Monate später sind Gosling und Blunt die Stars in The Fall Guy, einer Kinoadaption der Actionserie Ein Colt für alle Fälle über den Stuntman Colt Seavers. Mitte der Achtziger lief die Show im ZDF und ebnete den deutschen Fernsehweg für das A-Team einerseits und lächerliche Poser wie MacGyver und Renegade andererseits.

David Leitch und Kelly McCormick sind der Regisseur und die maßgebliche Produzentin von The Fall Guy, die Masterminds außerdem hinter Filmen wie Atomic Blonde, Deadpool 2 und Bullet Train. Mitte April kann man sie und ihre Hauptdarsteller in Berlin-Mitte treffen, im ersten Stock eines Luxushotels, der weitgehend freigeräumt wurde für die blockbustergroßen Delegationen von Filmverleih und PR-Agentur. Wie immer, wenn es nach Hollywood riecht, kommt auch Steven Gätjen die Treppe hochgejoggt.

Hier ist der Deal: Man darf Gosling und Blunt zusammen interviewen, wenn man auch McCormick und Leitch zusammen interviewt. Man soll Fragen bitte nur zum Film stellen, keine Quizze oder Trinkspiele anregen und gar nicht erst auf die Idee kommen, um ein Foto zu bitten, ein Autogramm oder eine Ansage für die eigene Mailbox. Die Interviewzeit beträgt jeweils sechs Minuten, wobei damit eigentlich fünf Minuten gemeint sind, denn die sechs Minuten beinhalten auch den sogenannten Turnaround für das nächste Interview. Alle Gespräche werden vor einer bunten Fall-Guy-Tapete gefilmt, gleich danach erhält man das Material in einem kleinen Umschlag auf personalisierten Chipkarten.

Zeit ist wahnsinnig kostbar bei einer solchen Veranstaltung und dann auch wieder gar nicht. Alles erscheint minutengenau durchgeplant, die ganze Hoteletage wuselt um wartende Journalistinnen und Journalisten herum, plötzlich verschiebt sich alles um eine Stunde nach hinten. Es geht zu wie auf einer hochfunktionalen Ameisenfarm oder in der Notaufnahme eines Großstadtkrankenhauses am Freitagabend. Niemand interessiert sich dafür, dass vor dem Eingang zum Hotel auch der Mannschaftsbus des deutschen Vizemeisters FC Bayern München geparkt hat.

Dann ist es so weit und gleich mal enttäuschend: Wer Ryan Gosling zum Interview trifft, trifft eigentlich gar nicht Ryan Gosling, sondern Ryan Gosling verkleidet als Stuntman Colt Seavers. Wie auch in mehreren Szenen aus The Fall Guy trägt er Lederjacke und Stiefel, die ihn auf drollige Weise extrabreit und -markig erscheinen lassen – man wundert sich fast, dass er keinen Zahnstocher im Mund hat. Gosling ist ebenso seidenglänzend geschminkt wie im Film, hat noch immer die straßenköterblond gefärbten Haare seiner Figur und strahlt professionelle Zugewandtheit aus. Für Emily Blunt gibt es solche Auflagen offenbar nicht: In einem witterungstechnisch bedenklichen Sommer-Onesie sitzt sie neben Gosling und ist aus unerklärlichen Gründen geradezu ekstatisch gut drauf.

Regisseur und Produzentin und auch noch verheiratet: David Leitch (links) und Kelly McCormick bei der Australien-Premiere von "The Fall Guy" © Caroline McCready

Blunt und Gosling sind zwar nicht vor westdeutschen Fernsehern, aber mit und im Fall von Gosling sogar im Fernsehen der späten Achtziger und frühen Neunziger aufgewachsen. "Den Filmen, die damals liefen, sah man ziemlich schnell an, dass es jetzt nicht gerade Arnold Schwarzenegger selbst war, der das Motorrad fuhr", sagt der frühere Kinderstar über die Aufgabe von Stuntmen. "Heute wird so etwas natürlich besser kaschiert." Blunt findet das beinahe unfair: "Einer meiner ersten Drehs war vor 20 Jahren in Rumänien, da wurde ich gleich mal auf ein Pferd gesetzt, obwohl ich überhaupt nicht reiten konnte. Einer Kollegin von mir ging es ähnlich – und als sie vom Pferd fiel, war es der einzige Stuntman am Set, der sie auffing und ihr wahrscheinlich das Leben rettete."

Stuntmen sind also Helden, diese Botschaft gehört zur Mission von Blunt und Gosling, aber auch tragische Figuren, wie die Schauspielerin sagt. "Je besser sie ihren Job machen, desto weniger nimmt man sie wahr. Sie tauchen auf, vollbringen Unglaubliches und verschwinden wieder in der Dunkelheit." Nicht allerdings in The Fall Guy. Der Film sei als Verbeugung vor allen Stuntmen und ihrer Community gedacht, erfährt man im Interview nebenan von dem Regisseur und ehemaligen Stuntman David Leitch. "Denn natürlich steckt in jedem Stuntman auch ein Performer. Niemand lässt sich durch einen zerbrechlichen Tisch werfen oder von einem Hochhaus schubsen, ohne dafür eine Reaktion vom Publikum zu erwarten."