Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde des Journalisten und ehemaligen Chefredakteurs der Bild-Zeitung, Julian Reichelt, stattgegeben. Dabei geht es um eine einstweilige Verfügung gegen Reichelt, die ihm eine polemische Äußerung über die Entwicklungshilfepolitik der Bundesregierung untersagt hatte. Reichelt hatte durch die vom Berliner Kammergericht beschlossene Verfügung seine Grundrechte verletzt gesehen. Dabei gaben ihm die Richterinnen und Richter in Karlsruhe recht. Die Entscheidung des Kammergerichts verfehle den Sinn der Äußerung Reichelts und "deren Charakter einer Meinungsäußerung". Das Verfassungsgericht hob die einstweilige Verfügung damit auf und verwies den Fall zur Neuverhandlung zurück an das Kammergericht.

Gegenstand des Rechtsstreits war ein Post Reichelts auf der Plattform X vom August 2023. Darin verlinkte Reichelt einen Artikel mit der Überschrift "Deutschland zahlt wieder Entwicklungshilfe für Afghanistan". Diesen kommentierte er mit der Äußerung, Deutschland habe "in den letzten zwei Jahren 370 MILLIONEN EURO (!!!) Entwicklungshilfe an die TALIBAN (!!!!!!)" gezahlt. "Wir leben im Irrenhaus, in einem absoluten, kompletten, totalen, historisch einzigartigen Irrenhaus. Was ist das nur für eine Regierung?"

Verfassungsrichter sehen kein Schutzbedürfnis des Staats gegen Reichelts Äußerung

Die Bundesregierung zog gegen diese Äußerung vor Gericht. Im November 2023 untersagte das Kammergericht Reichelt eine öffentliche Verbreitung dieser Äußerung mit Verweis auf das Prinzip des Ehrenschutzes. Dieser könne geltend gemacht werden, wenn durch eine Äußerung eine juristische Person, in diesem Fall die Bundesregierung, schwerwiegend in ihrer Funktion beeinträchtigt werde. Das Kammergericht begründete seine Entscheidung damit, dass Leserinnen und Leser den Eindruck erhalten könnten, dass Deutschland direkt Hilfen an die Taliban gezahlt hätten, was aus dem von Reichelt verlinkten Artikel nicht hervorgeht.

"Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit", entschied nun das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde Reichelts. Dem Staat komme "kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu", der Staat habe "grundsätzlich auch scharfe und polemische Kritik auszuhalten". Der Schutz staatlicher Einrichtungen dürfe nicht dazu führen, dass diese gegen "öffentliche Kritik" abgeschirmt würden, schreiben die Richterinnen und Richter in der Begründung.

Meinungsfreiheit schützt auch Vermengung von Tatsachen und Meinungen

Auch müsse bei der Beurteilung einer Äußerung der sprachliche Kontext berücksichtigt werden. Das habe das Kammergericht nicht getan. Es sei "aus der Sicht eines Durchschnittslesers" angesichts des von Reichelt verlinkten Artikels erkennbar, dass ein inhaltlicher Bezug zwischen seiner Meinungsäußerung und dem Inhalt des Artikels hergestellt werde. Da das Kammergericht in seiner Entscheidung den verlinkten Artikel nicht berücksichtigt habe, würden die "verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Deutung umstrittener Äußerungen" verfehlt.

Die Kritik Reichelts sei auch dann geschützt, wenn sich in ihr Tatsachen und Meinungen vermengten. Zudem stelle die Bundesregierung weder die Zahlungen von Entwicklungshilfen an Afghanistan in Abrede, noch die in Reichelts Tweet nahegelegte Deutung, wonach die Hilfen unter Kontrolle der Taliban geraten könnten.