In der Serie "Politisch motiviert" ergründen unsere Autorinnen und Autoren politische Themen der Woche. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 16/2024.

Eine US-Präsidentin gab es noch nie. Das erste TV-Duell in einem Wahlkampf um das Weiße Haus wurde trotzdem zwischen zwei Frauen ausgetragen. 1956 traf Eleanor Roosevelt, frühere First Lady und eine der meist respektierten Figuren der Demokratischen Partei, in der Sendung Face the Nation auf die republikanische Senatorin Margaret Chase Smith. Ihre Parteien hielten die beiden dafür besser geeignet als die tatsächlichen Präsidentschaftskandidaten Adlai Stevenson und Dwight D. Eisenhower, der als Amtsinhaber noch mal antrat.

Das Ganze dauerte eine knappe halbe Stunde und war ausgesprochen unspektakulär, auch im Umgangston. Es ging unter anderem um die Suezkrise, den Volksaufstand, der sich gerade in Ungarn abspielte, und die Bürgerrechtsbewegung. Kurz: um Inhalte. Nicht um die Frisur über den Schweißperlen oder die Zahl der Aussetzer beim Sprechen. Und es stand auch nicht die Befürchtung im Raum, dass eine der beiden Teilnehmenden im Falle ihres Siegs der Demokratie ihr Ende bereiten könnte.

Heute, knapp 70 Jahre und Dutzende Duelle später, ist es anders. Zwölf US-Nachrichtensender veröffentlichten vergangene Woche ein gemeinsames Statement, in dem sie Joe Biden und Donald Trump – die beiden designierten Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im November – drängen, sich "öffentlich dazu zu bekennen", an einem gemeinsamen TV-Duell teilzunehmen. Ihre Begründung: "Es gibt einfach keinen Ersatz dafür, die Kandidaten miteinander und vor der amerikanischen Bevölkerung über ihre Visionen für die Zukunft unserer Nation diskutieren zu lassen."

Ein Faktencheck ist illusorisch

1956 wäre das ein völlig legitimer Ansatz gewesen und auch noch 2016. Aber heute? Donald Trump hat mit Gewalt versucht, das höchste Amt im Staat an sich zu reißen. Seine Vision für die Zukunft der Nation: ein Land, in dem die Kapitol-Stürmer Nationalhelden sind und illegal Eingewanderte keine Menschenrechte besitzen. Sein Wahlkampf dreht sich ausschließlich um das vermeintliche Unrecht, das ihm angetan wurde, als er die letzte Wahl gegen Biden verlor (laut Trump wurde sie ihm "gestohlen"). Und er steht demnächst unter anderem wegen der Verschwörung vor Gericht, die er rund um diese Lüge anzettelte.

Auf welcher Augenhöhe soll Biden mit ihm diskutieren? Eine solche scheinen die Senderverantwortlichen schaffen zu wollen, wenn sie solche Sätze schreiben: "Wenn es eine Sache gibt, auf die sich die Amerikaner in dieser polarisierten Zeit einigen können, dann ist es die Tatsache, dass bei dieser Wahl außergewöhnlich viel auf dem Spiel steht." Das ist genau die falsche Ausgewogenheit, die schon in Trumps erster Amtszeit das große Problem der Medienöffentlichkeit war.

Die Bedrohung der US-amerikanischen Demokratie durch Trump ist kein beliebiger Tagesordnungspunkt irgendwo zwischen Inflation, Iran und Israel. Wie eine solche Debatte denn bitte aussehen solle, fragt der Autor David Frum inThe Atlantic: "'Präsident Biden', könnte man dann den Moderator sagen hören, 'wir werden gleich auf den angeblichen gewaltsamen Staatsstreich von Herrn Trump zu sprechen kommen, aber jetzt gerade geht es um die Lebensmittelpreise.'" Es ist zudem völlig illusorisch, bei einer Livemoderation den Faktencheck zu leisten, den es bräuchte, um Trumps ständigen Falschaussagen angemessen zu begegnen. Das wurde deutlich, als CNN eine sogenannte Town Hall mit ihm veranstaltete, bei der Starmoderatorin Kaitlan Collins trotz tapferer Versuche nicht gegen das Feuerwerk von Lügen ankam, das Trump direkt vor ihrem Gesicht zündete.

Am Ende bleiben 15-Sekunden-Clips

Die Annahme, man könne jemanden wie ihn mit Argumenten schlagen – und werde dann auch noch dafür belohnt –, hält sich hartnäckig. Glaubt ernsthaft jemand, es sähen sich Millionen Wählerinnen das TV-Duell in seiner Vollständigkeit an und beurteilten anschließend nach vernunftorientierten Gesichtspunkten, wer sein Anliegen besser vorgebracht habe? Fernsehen funktioniert emotional, nicht rational. Und soziale Medien tun ihr Übriges. Diesen Auftritt, so er denn stattfinden sollte, würden die meisten Menschen in Form von 15- oder 30-Sekunden-Clips wahrnehmen, die sich beide Seiten aus den jeweils unvorteilhaftesten Momenten des jeweiligen Gegners zusammenbasteln und dann in den sozialen Medien teilen. Im Zweifelsfall steckt darin nicht einmal ein ganzer Satz, sondern nur Bidens Räuspern oder Stottern, das dann belegen soll, wie senil er ist.

Umso unfairer ist es, dass die Entscheidung über das Stattfinden eines TV-Duells nun bei Biden liegt. Trump – der zuletzt an keiner Vorwahldebatte der Republikaner teilnahm – hat den amtierenden Präsidenten bereits herausgefordert. So steht Biden vor einer unmöglichen Wahl: entweder er verweigert es, sich mit einem Verfassungsfeind eine Bühne zu teilen, und liefert Trumps Opfererzählung eine Steilvorlage. Oder aber er geht darauf ein und muss mit dem Vorwurf leben, zur Diskursverschiebung zugunsten Trumps beigetragen zu haben.

Ähnlich verhielt es sich kürzlich mit dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt, der sich bei Welt TV mit dem AfD-Spitzenkandidaten Björn Höcke duellierte. Höckes Landesverband wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft, er selbst steht wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vor Gericht. Klar kann man Voigt für seine Entschlossenheit loben, den Gegner"inhaltlich zu stellen", aber ging es ihm nicht mutmaßlich genauso darum, sich selbst ins Gespräch zu bringen? Und war es das wert? Letztlich konnte man den Eindruck gewinnen, der Abend diente vor allem Höcke, der als netter Rechte von nebenan über Mettbrötchenlieferketten referierte.

Welt TV konnte seinen üblicherweise mageren Marktanteil an diesem Abend vervierfachen. Und auch die US-Sender treibt die Hoffnung auf höhere Einschaltquoten, die seit dem Ende von Trumps Präsidentschaft deutlich gesunken sind. Doch selbst wenn ihnen nicht nur an den eigenen Quoten gelegen sein sollte, sondern ebenso am gesellschaftlichen Wohlergehen: Die Verantwortung für das Dilemma, wie viel Aufmerksamkeit die Höckes und Trumps verdienen, die dürfen Medien nicht einfach delegieren an Joe Biden, Mario Voigt oder andere, die in dieser Frage nur verlieren können.