Bei den schweren Überschwemmungen im Süden Brasiliens ist die Zahl der Toten weiter gestiegen. Mindestens 78 Menschen wurden nach Angaben der brasilianischen Zivilschutzbehörde vom Sonntag bislang in den Fluten getötet. Mindestens 105 Menschen gelten demnach als vermisst. Im südlichen Bundesstaat Rio Grande do Sul mussten mehr als 88.000 Menschen ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Rettungskräfte kämpften gegen die Zeit, um weitere Menschen aus den Schlammlawinen zu retten.

Porto Alegre, die Hauptstadt von Rio Grande do Sul, war Luftaufnahmen zufolge völlig überflutet. Straßen waren überschwemmt und die Dächer einiger Häuser kaum noch zu erkennen. Der durch die Stadt fließende Guaíba-Fluss erreichte nach Angaben der örtlichen Behörden einen neuen Höchststand von über fünf Metern – weit über dem bisherigen Rekordwert von 4,7 Metern aus dem Jahr 1941.

Das Wasser drang zunehmend in die 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt und bedrohte Hunderte weitere Orte. Nach Angaben der Zivilschutzbehörde, die sich auf Daten des Wasserversorgers Corsan berief, waren mehr als 800.000 Menschen von der Wasserversorgung abgeschnitten.

Porto Alegres Bürgermeister Sebastião Melo rief die Menschen im Onlinedienst X dazu auf, ihre Häuser zu verlassen. Außerdem müssten sie nach dem Ausfall von vier der sechs Aufbereitungsanlagen in der Stadt das Trinkwasser rationieren.

Ein Rettungsteam barg einen älteren Mann in ernstem Zustand per Hubschrauber aus einem abgelegenen Gebiet in der Gemeinde Bento Gonçalves, wie Aufnahmen der Militärfeuerwehr zeigten. Sturzbäche aus braunem Wasser ergossen sich über einen nahe gelegenen Damm.

"Donnerstagnacht fing das Wasser an, schnell zu steigen", sagte die 37-jährige Krankenschwester Rosana Custodio. "Mein Mann setzte unsere beiden Kleinen in ein Kajak und ruderte mit einem Bambusstab. Mein Sohn und ich schwammen bis zum Ende der Straße." Ihre Familie sei in Sicherheit, habe jedoch alles verloren, sagte sie. 15.000 Menschen in dem Bundesstaat fanden bislang Zuflucht in staatlichen Notunterkünften.

Zwar ließ der Regen am Samstag nach, Experten schätzten jedoch, dass er weitere 24 bis 36 Stunden anhalten könnte. Zusätzlich warnten sie vor Erdrutschen. Die Behörden versuchten weiter, überschwemmte Stadtteile zu evakuieren. Rettungskräfte suchten mit Allradfahrzeugen und Jetskis im hüfthohen Wasser nach Gestrandeten.

Flugverkehr auf unbestimmte Zeit ausgesetzt

Vielerorts bildeten sich lange Schlangen vor den wenigen verbliebenen Bussen – aufgrund der Überschwemmungen war der Busverkehr vom und zum Stadtzentrum eingestellt worden. Am internationalen Flughafen von Porto Alegre stehen die Start- und Landebahnen unter Wasser. Der Flughafen hatte daher bereits am Freitag alle Flüge auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

Der Gouverneur von Rio Grande do Sul, Eduardo Leite, bezeichnete die Überschwemmungen als die "schlimmste Katastrophe" in der Geschichte des Bundesstaats. Er forderte einen "Marshallplan" mit großen Investitionen, um den Wiederaufbau nach der Katastrophe vorantreiben zu können. Offiziellen Angaben zufolge wurden seit vergangenem Montag in mindestens 334 Städten und Dörfern im Bundesstaat Schäden verzeichnet.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva traf am Sonntag in Rio Grande do Sul ein, um sich am Ort ein Bild zu machen und sagte den Betroffenen die Hilfe der Regierung zu. Begleitet wurde er unter anderem von Verteidigungsminister José Múcio, Finanzminister Fernando Haddad und Umweltministerin Marina Silva. Lula und sein Team beobachteten bei einem Helikopterflug die überschwemmten Straßen von Porto Alegre. "Wir müssen aufhören, Katastrophen hinterherzulaufen. Wir müssen im Voraus sehen, welche Unglücke passieren könnten, und wir müssen arbeiten", sagte Lula zu Journalisten.

Brasilien hat in den vergangenen Monaten immer wieder unter Extremwetterereignissen wie Hitzewellen und Starkregen gelitten. Experten zufolge führt die Erderwärmung dazu, dass solche Ereignisse häufiger und intensiver auftreten. Derzeit werden die Wetterextreme jedoch auch durch das Klimaphänomen El Niño verstärkt.