Es ist Dienstagmittag, kurz vor 13 Uhr. Drei Stunden zuvor haben propalästinensische Studierende im Herzen der Freien Universität Berlin (FU) ein Protestcamp errichtet. Ein bisschen wie es Studierende der Columbia University vor Kurzem getan haben, nur sehr viel kleiner. Die Bilder aus New York gingen durch die Welt. Am Morgen, als die Protestierenden auf Telegram ihr Camp ankündigten, schrieben sie: "From Berlin to Gaza, we echo the global call". 

Doch bereits kurz darauf rückte die Polizei an.

Es ist nicht der erste propalästinensische Protest an der FU Berlin, der Schlagzeilen macht. Im Dezember hatten etwa 100 Aktivist:innen einen Hörsaal besetzt. Damals hielten sich Universitätsleitung und Polizei zurück, sie ließ die Besetzung lange gewähren, bis sie am Ende den Hörsaal räumte. Der Unileitung brachte das später sehr viel Kritik ein, auch deshalb, weil es bei der Besetzung zu Handgreiflichkeiten zwischen proisraelischen und propalästinensischen Studierenden kam. An diesem Dienstag zeigen Unileitung und Polizei keine Kulanz.

Eine vermummte Protestierende wird gleich weggetragen. © Anna Aicher für ZEIT ONLINE

Drei Demonstrationen haben sich am Dienstag gebildet, alle spielen sich in und um den sogenannten Theaterhof ab. Der Theaterhof liegt im Herzen des FU-Geländes, er ist umringt von einer Aula, einer Bibliothek und Hörsälen. Auf der Treppe, die vom Hof zu den Hörsälen führt, skandieren etwa 50 Protestierende: "Viva, Viva, Palästina". Die meisten dürften Studierende sein, viele von ihnen sind junge Frauen, die kaum älter als 20 Jahre alt wirken. Auch in den Fenstern stehen Protestierende.  

Eine etwa 50-jährige Frau mit leicht angegrauten Haaren zeigt auf eine junge Frau, die als einzige schweigend eine Israel-Flagge aus dem Fenster hält. "Die will provozieren", ruft die ältere. "Nur deshalb ist sie hier."  

Und schon während sie das sagt, gehen rund ein Dutzend Polizist:innen auf die Protestierenden zu. Sie greifen scheinbar wahllos zwei junge Frauen heraus, beide haben Wurfzelte auf den Rücken gespannt. Die wehren sich, die Menge schreit empört auf, sie skandieren: "We are students, united, we never be defeated." Ein Protestierender nach dem anderen wird so weggebracht.  

Von diesem Teil des Theaterhofs braucht man keine 50 Meter zum Protestcamp, es ist auf einer Bühne errichtet worden, die hier das ganze Jahr steht und besteht aus etwa 20 Zelten.

An der Wand hinter dem Camp hängt eine Liste mit Forderungen der Aktivist:innen. Sie sprechen darin zum Beispiel von einem Genozid, der beendet werden müsse und fordern, Israel kulturell und akademisch zu boykottieren. Die akademische Freiheit müsse geschützt werden, außerdem wollen die Aktivist:innen, dass Deutschland seine koloniale Vergangenheit anerkenne.  

Polizisten stehen im Innenhof vor einer Gruppe von Protestierenden. © Anna Aicher für ZEIT ONLINE

Um die Zelte herum sitzen im Halbkreis, so wird es später ein Polizeisprecher schätzen, etwa 150 Protestierende. Die meisten tragen FFP2-Masken, vermutlich um ihre Identität nicht preiszugeben. Sie haben sich ineinander gehakt wie eine menschliche Kette.  

Im Innern des Unigebäudes verfolgen Studierende die Polizeiaktion. © Anna Aicher für ZEIT ONLINE

Zwischen den Zelten streifen Einzelne umher, die mit Megafon immer neue Rufe skandieren. Sie rufen: "Germany is a fascist state", "Israel is a terror state" oder auch die verbotene Parole "From the river to the sea, Palestine will be free".

Ein Zelt sticht unter allen heraus. Es ist größer und nach allen Seiten offen und purpurrot. Am oberen Rand hängt ein Din-A4-Blatt. "All eyes on Rafah", steht da. Dass die israelische Armee angekündigt hatte, auch die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angreifen zu wollen, mag einer der Gründe sein, warum so spontan ein Camp aufgebaut wurde. Und tatsächlich. Fast zeitgleich, als die Protestierenden in Berlin ihr Camp aufbauten, startete die israelische Armee in Rafah mit ihrer Bodenoffensive.   

Eskalation

Gegen 13.20 Uhr ziehen im vorderen Teil des Theaterhofs die letzten Protestierenden von der Treppe ab. Sie zeigen dabei Peace-Zeichen in Richtung der sitzenden Kette. Die lösen sich, kurz brandet Applaus auf. Die Polizeiaufmerksamkeit verschiebt sich nun in Richtung Camp.