Katzen sind wählerisch, vor allem bei Trockenfutter. Sie fressen nicht alles. Um ihren Appetit anzuregen, überziehen Hersteller die Futterkroketten etwa mit Lachsöl. Auch Hefearoma ist bei Katzen beliebt, aber bitte nicht zu viel. Gerne Schweineleber und Muskelfleisch, ungern Knorpel und Soja. Das Trockenfutter muss außerdem, wenn es als "Alleinfutter" vermarktet wird, alle überlebenswichtigen Vitamine, Mineralstoffe und Aminosäuren enthalten. Manche Firma platziert die Kroketten auf Glasscheiben und filmt die Katzen von unten, um deren Vorlieben zu entschlüsseln. Katzenfutter gilt in der Heimtierbranche als Königsdisziplin.

Der Mensch, dessen Gedächtnis dieses und noch viel mehr Tierfutterwissen gespeichert hat, heißt Christian Schünemann. Er ist 71 Jahre alt, hat einen Doktor in Tierernährung und war ein Vierteljahrhundert bei Royal Canin angestellt, einem der führenden Hersteller von Katzen- und Hundefutter, davon mehrere Jahre lang als Geschäftsführer für Deutschland und die Schweiz. Ein deutsches Angestelltendasein mit klassischem Ende: Als er auf die 63 zuging – Royal Canin gehörte inzwischen zu Mars –, bot ihm die Firma an, in den Vorruhestand zu gehen. Die jüngere Generation drängte nach und war billiger. Schünemann stellte eine Exceltabelle auf und rechnete alles durch. Zwei Abschiedsessen und einen Stehempfang später war Schluss. Der 31. März 2016 war sein letzter Arbeitstag.

Die Wissenschaft bezeichnet den heiklen Übergang vom Arbeitsleben in den Ruhestand als "Rentenübertritt", englisch: work-to-retirement transition. Psychologie, Medizin und Soziologie arbeiten sich daran ab. Der Rollentheorie zufolge verliert der Mensch mit der Verrentung sein Selbstverständnis als produktiver Teil der Gesellschaft. Er kriegt die Krise. Die Kontinuitätstheorie hingegen betont die Anpassungsfähigkeit. Aus glücklichen Arbeitnehmern werden glückliche Rentner. Laut dem Phasenmodell wiederum folgen auf den Rentenbeginn fünf Phasen: Flitterwochen, Ernüchterung, Umorientierung, Stabilität, Morbidität. Erst geht es aufwärts, dann abwärts bis zum Tod.

Man tritt der Wissenschaft nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass sie den Rentnerinnen und Rentnern nicht wirklich weiterhilft.

Christian Schünemann hatte keine Theorie, als er in Rente ging. Er registrierte sich beim Berufsnetzwerk LinkedIn und schrieb als Motto unter seinen Namen: "I am still happy!" Er machte dann allerdings die Erfahrung, dass er ständig zu Hause war und viel Zeit hatte, seiner Frau auf die Nerven zu gehen und umgekehrt. Da half auch seine Ausbildung zum Einzelkämpfer nichts, die er im Wehrdienst absolviert hatte, sie waren ja zu zweit. Hilfreicher war der neu gepachtete Schrebergarten am Stadtrand von Düsseldorf. Und eine Organisation, über die er im Internet gelesen hatte. Eine Art Rentnerverleih. Er meldete sich an.

An einem Dienstag im Februar steht Schünemann in einer Fabrikhalle im Westen der Republik Moldau und steigt eine Leiter hoch, um über den Rand einer Stahlwanne zu spähen. In der Wanne wird Hühnerfett erwärmt. Christian Schünemann reckt den Daumen hoch. Sieht super aus. Serghei und Dragoș Nichita, der Fabrikbesitzer und sein jüngerer Sohn, stehen unten und beobachten den Deutschen. Schünemann ist einen halben Kopf größer als Serghei Nichita und fast so alt wie dessen Mutter. Er ruft gegen den Lärm von Mischern und Förderbändern an: "Wir sollten nur überlegen, ob ihr das mit Stoffbahnen abdeckt. Wegen der Hygiene." Dragoș, 20, übersetzt für seinen Vater ins Rumänische. Er studiert Wirtschaftsingenieurwesen in Pforzheim und hat gerade Semesterferien.

Im Dorf Iurceni, nicht weit von der Grenze zu Rumänien entfernt, kaufte Serghei Nichita 2001 ein Grundstück mit leer stehenden Hallen und baute aus dem Nichts eine Maismühle auf. Er war 29 Jahre alt. "Es gab keine Blaupause", sagt er. "Am Anfang haben wir Fehler gemacht, aber wir haben daraus gelernt. Wir haben kopiert, studiert, ausprobiert." Mahlwerke, Förderbänder, Verpackungsmaschinen, Lastenaufzüge. Seine Frau Ala spielt in dem Betrieb auch eine Rolle, sie kümmert sich um die Buchhaltung und beliefert Kunden, präsentiert die Erzeugnisse auf Messen, bekocht die Familie, macht den Haushalt, aber wenn man zu viel nach ihr fragt, sagt Serghei Nichita: "In unserer Familie singt der Hahn, nicht die Henne."

Mithilfe von zehn Angestellten produziert die Mühle Maismehl und Maisgrieß für Polenta sowie Maiskleie, Maiskeim- und Sonnenblumenöl, alles in Bioqualität. Als Moldau (auch: Moldawien) noch eine Sowjetrepublik war, versorgten die Bauern die anderen Teilrepubliken mit Wein, Trockenobst und Saatenölen. Das Land ist berühmt für seinen fruchtbaren Schwarzerde-Boden. Heute besitzen die Nichitas im Süden 50 Hektar Maisfelder. Ihr Mehl der Marke Iurceneanca wird von den großen Supermarktketten Moldaus verkauft und ist sogar in amerikanischen Online-Shops erhältlich, es hat Preise gewonnen. Aber Serghei Nichita ist noch nicht fertig. Das Unternehmen soll wachsen. Erst mit Hundefutter, dann mit Katzenfutter. Deshalb das Hühnerfett. Deshalb der Deutsche.

Personalabteilung: In den Bau der Mühle haben Serghei und Ala Nichita auch Einnahmen von ihrer Hochzeit gesteckt. Später konnten sie weiter investieren und die Hundefutter-Produktion aufbauen. Auf dem Grundstück leben ein paar Hunde – ein kleines Testpanel für neue Rezepte. © Andreea Campeanu für ZEIT Wissen

Auch die Nichitas hatten im Internet von der deutschen Stiftung gelesen, die Rentnerinnen und Rentner in alle Welt vermittelt, wo sie ihr Fachwissen ehrenamtlich weitergeben. Die Unternehmen zahlen fünf Euro Taschengeld pro Tag und sorgen für Unterkunft und Verpflegung. Die Reisekosten übernimmt das deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit. Ein guter Deal.

Man sollte vielleicht nicht von "Rentnern" reden, das klingt so nach Hobbys, Müßiggang, Enkelkindern. Besser von Seniorexperten, so nennen sie sich selbst. Senior Expert Service (SES) heißt die gemeinnützige Organisation, die die Fachleute vermittelt, gegründet 1983 von der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Hauptsitz in Bonn. Nach dem Mauerfall waren viele der Seniorexperten in Ostdeutschland aktiv. Heute ist der SES in 90 Ländern vertreten und kann auf mehr als 12.000 Fachleute zurückgreifen, davon ein Viertel Frauen. Gendern ist in diesem Artikel allerdings unnötig, denn die große Mehrheit der in Moldau tätigen Experten waren oder sind Männer.