Worum geht's eigentlich?

Um zwei der wichtigsten Rapper der Gegenwart und die Frage, wer von ihnen der Bessere ist. Auf der einen Seite: Kendrick Lamar aus der kalifornischen Gangsta-Rap-Stadt Compton, Status: der Pulitzer-Preisträger und Feuilleton-Liebling unter den Rappern. Sein Song Alright wurde zur Hymne der Black-Lives-Matter-Bewegung. Seit Mai 2022 ist kein Solosong von ihm erschienen – bis jetzt. 

Auf der anderen Seite: Drake. Status: Selbst wenn Sie glauben, noch nie von Drake gehört zu haben, Sie haben schon Drake gehört. Spätestens seit seinem 2013er-Hit Started from the Bottom ist der Kanadier ein Superstar. Es folgten Hits wie One Dance, Hotline Bling, God's Plan, Nice for What, Rich Flex …  Auch dank Drake haben sich R 'n' B und Rap wieder angenähert, denn er scheut sich nicht, zu singen – und zu tanzen. Vielen Rap-Fans gilt Drake deshalb als uncool, zu weich und, wenn man ehrlich ist, auch zu erfolgreich. 

Seit Wochen beleidigen sich Drake und Kendrick Lamar in Songs, die teilweise in kürzester Zeit über 50 Millionen Streams erreichen. Kurz: Sie haben Beef und Millionen schauen zu.  

What's Beef?

Beef nennt man im Rap eine persönliche Auseinandersetzung, die oft nicht nur in Form eines musikalischen Schlagabtauschs ausgetragen wird. Häufig geht es um die Frage, wer real ist, also authentisch.   

Während bei einem Battle-Rap die Regeln klar sind – es gibt eine gewisse Rundenanzahl, innerhalb derer sich die Kontrahenten gegenseitig beleidigen, danach gibt es eine Wertung und einen Gewinner –, ist Beef nicht klar begrenzt. Welche schmutzigen Tricks noch in Ordnung gehen und welche nicht, bewertet am Ende das im digitalen Zeitalter ebenfalls grenzenlose Publikum. Der klassischste schmutzige Trick von allen: Zwei Rapper inszenieren einen Beef für die Aufmerksamkeit. Ganz nach dem Motto: Es gibt keine schlechte Werbung. 

Was bisher geschah

2011 nahm der damals schon bekannte Drake den noch eher unbekannten Kendrick Lamar mit auf sein Album Take Care und anschließend auf Tour. Nett, könnte man meinen. War es wohl auch, obwohl Lamar heute behauptet, die Stimmung sei schon zu jener Zeit angespannt gewesen. Die beiden haben aber auch danach noch zusammengearbeitet.  

Je erfolgreicher Drake allerdings im Mainstream und je politischer Kendrick Lamars Musik wurde, desto weniger konnten die beiden miteinander anfangen. Mit den gemeinsamen Songs ist jedenfalls Schluss. Prophetisch wirkt heute ein Track von 2013. Damals rappte Kendrick Lamar auf Control, dass er bereit sei, sich mit allen anzulegen. Und nannte Namen. Darunter: Drake. Im Grunde keine große Provokation, der Größenwahn gehört zum Rap wie die Misogynie. Seither schwelte ein gewisser Unmut zwischen den beiden, der sich immer wieder in einzelnen Songzeilen äußerte oder Seitenhieben in Interviews – auf eine Eskalation deutete aber jahrelang nichts hin. 

Warum gerade jetzt?

Im März dieses Jahres war Kendrick Lamar auf dem Song Like That des Produzenten Metro Boomin und Rappers Future zu hören. Eine Freude für die Fans von Lamar, die schon lange auf neue Musik warteten, keine Freude für Drake. Das ganze Album von Metro Boomin und Future ist voller Sticheleien gegen ihn. Auch Kendrick Lamar greift Drake direkt an. Und nicht nur ihn, sondern auch J. Cole – eigentlich ein Freund Lamars und ebenfalls einer der besten Rapper seiner Generation. Da sind sich ausnahmsweise sogar alle einig: Cole ist so was wie der kleinste gemeinsame Nenner unter Rap-Fans. 

Cole hatte Lamar, Drake und sich im vergangenen Herbst noch als "big three" bezeichnet und damit quasi angeboten, den Rap-Thron zu teilen. Der Pulitzer-Preisträger Lamar hat dann auf Like That dargelegt, wie lächerlich er es findet, sich zu verbünden, denn: "Motherfuck the big three, n****, it's just big me." 

Und dann?

Anfang April antwortet J. Cole auf Lamars Affront mit dem 7 Minute Drill. Ein Song, der die Bezeichnung Disstrack allerdings kaum verdient hat. Denn noch beim Beleidigen lobt Cole Lamar für seine Rap-Kunst und nennt dessen Debütalbum einen Klassiker. Kurz darauf zieht er den Song sogar zurück, entschuldigt sich wortreich und verlässt damit die Beef-Bühne. 

Drake hingegen legte richtig los. Sein erster Disstrack Push Ups wurde von einer Spotify-Werbekampagne begleitet ("Hip-Hop is a competitive sport. Drake is on the way.") In einem zweiten, Taylor Made Freestyle, verleiht sich Drake mithilfe von KI-generierten Stimmen selbst Legendenstatus und lässt die Rap-Ikonen Snoop Dogg und Tupac Lamar herausfordern. Auch wenn die Beleidigungen (Lamar sei klein und habe nur Schuhgröße 40!) größtenteils harmlos sind: Die Provokation ist groß, Lamar muss eigentlich reagieren.  

Tut er auch. Gleich zwei Tracks veröffentlicht er innerhalb weniger Tage (euphoria und 6:16 in LA). Sein Statement: Hör auf, Lügen über mich zu verbreiten, sonst packe ich die Wahrheit über dich aus ("But don't tell no lie 'bout me, and I won't tell truths 'bout you").  

Der Schlagabtausch nimmt Geschwindigkeit auf. Noch in derselben Nacht reagiert Drake mit Family Matters, in dem er Lamar unter anderem vorwirft, seine Verlobte geschlagen zu haben. 

Lamar antwortet sofort mit Meet the Grahams. Und legt wenige Tage später mit Not Like Us nach. Seine Vorwürfe in allen Songs: Drake sei nicht Hip-Hop genug, weil seine Musik poppig und erfolgreich ist. Und er eigne sich zwar schwarze Kultur an, lebe sie aber selbst nicht. Außerdem habe Drake eine uneheliche Tochter, unangemessenes Interesse an minderjährigen Mädchen und keine Hemmungen, Sexualstraftäter einzustellen. Der so Beschuldigte wiederum publizierte vergangenen Sonntag The Heart Part 6, in dem er behauptet, Lamar mit falschen Informationen hereingelegt zu haben. Uff.  

Was ist an den Vorwürfen dran?

Was stimmt: Tatsächlich ist Kendrick Lamar nur 1,65 Meter groß und trägt Schuhegröße 40. Alles andere ist nicht so leicht zu belegen. 

Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Vorwurf, Drake habe eine elfjährige Tochter, die er verheimliche und um die er sich nicht kümmere, erhoben von Lamar in Meet the Grahams. Die Sache ist deshalb besonders brisant, weil 2018 der New Yorker Rapper Pusha T in The Story of Adidon öffentlich gemacht hatte, dass Drake einen Sohn hat. Dieser leugnete das zunächst, bekannte sich dann aber doch zu dem sechsjährigen Adonis. 

Drake hat in seinem – Stand heute – letzten Disstrack geleugnet, eine Tochter zu haben. Mehr noch: Er behauptet, das Gerücht durch einen vermeintlichen Spion Lamars in Drakes Lager selbst in die Welt gesetzt zu haben. Gekämpft wird mit allen Mitteln. 

Vielleicht sogar mit Gewalt. Wie die kanadische Rundfunkgesellschaft CBC berichtet, soll Drakes Anwesen jetzt im Mittelpunkt einer polizeilichen Untersuchung stehen: Ein Mann soll bei einer Schießerei schwer verletzt worden sein. Ein Verdächtiger soll mit dem Auto geflohen sein. Noch ist unklar, ob die Tat in Zusammenhang mit dem Beef steht. 

Was sagt uns das jetzt?

Auch wenn gern behauptet wird, nur Frauen würden sich für Gossip interessieren: Beefs wie dieser sind der Beweis dafür, dass alle Menschen, und zwar gerade auch Männer, gern mehr über die Leichen in den Kellern anderer Leute erfahren. Und Rap bietet ähnlich wie das Reality-Fernsehen die perfekte Mischung aus Inszenierung und Authentizität. Klamotten, Accessoires, Autos, aber vor allem die eigenen Beziehungen, die Herkunft und Zukunft – alles obliegt im Rap einer detailverliebten Inszenierung. Diese erhebt jedoch immer Anspruch auf Authentizität – schließlich geht es darum, möglichst real zu sein – und muss sich deshalb daran messen lassen. Das Drama, das Rapper wie Drake und Lamar in Beefs inszenieren, ist deshalb ungleich realer als beispielsweise ein Serienplot. Kein Wunder, dass Millionen die Tracks nicht nur hören, sondern bis ins kleinste Detail analysieren. So wird beispielsweise vermutet, dass Kendrick Lamars an Drakes Sohn Adonis gerichtete Zeile "Never let a man piss on your leg" sich darauf bezieht, dass ein anderer Rapper vor Jahren wiederum behauptet hat, Drake angepinkelt zu haben. So versessen auf die Suche nach versteckten Hinweisen sind sonst nur Taylor-Swift-Fans. 

Wer gewinnt?

Kendrick Lamar. So sieht es jedenfalls das Internet. Konsens ist, dass seine Texte vielschichtiger und gewitzter sind. Tatsache ist: Seine Vorwürfe sind definitiv brutaler. Trotzdem entscheidet, anders als bei vielen Battle-Raps, beim Beef eben nicht das Publikum durch Akklamation. Oder jedenfalls nicht endgültig: Solange sich beide Rapper weiter Tracks um die Ohren hauen, ist nichts entschieden. 

Man könnte deshalb auch sagen: Bislang gewinnt niemand. Denn wer so viel Holz ins Feuer schmeißen muss, damit es brennt, der hat den richtigen Zunder noch nicht gefunden. Es gibt in der Rap-Geschichte Songs, die so brillant waren, dass sie einen Beef beendet haben, weil alle danach das Gefühl hatten: Das ist nicht zu toppen. Man erinnere sich an Das Urteil von Kool Savas, das Eko Fresh nicht nur im Video, sondern auch lyrisch begraben hat.  

Wenn kein alles entscheidender Song folgt, könnte der Beef auch einfach langsam auslaufen. Öffentliches Interesse währt nicht ewig – selbst bei zwei Schwergewichten wie Lamar und Drake. Oder er weitet sich zu einer Art Massenschlägerei aus. In den letzten Wochen haben sich schon mehr und mehr Rapper eingemischt, nicht zuletzt Future und Kanye West, beide auf Kendrick Lamars Seite. Immerhin: Uma Thurman hat Drake ihr legendäres gelbes Kill-Bill-Kostüm angeboten.  

Entscheidend eingreifen könnte auch – wie könnte es derzeit anders sein – Taylor Swift. Drake hat schon mit aller Macht versucht, sie in den Beef hineinzuziehen, indem er Kendrick Lamar auf Taylor Made Freestyle vorwarf, nicht direkt auf seine Beleidigungen reagieren zu wollen, um nicht in Konkurrenz mit der Veröffentlichung von Taylor Swifts neuem Album zu treten. 

Drake selbst hat zugegeben, sein Albumrelease aus genau diesem Grund verschoben zu haben. Er ist ein langjähriger Freund von Swift. Ob sie auf seiner Seite steht oder sich lieber raushält, ist aber unklar. Schließlich war Kendrick Lamar ihr Feature-Partner auf Bad Blood. Und böses Blut gibt es ja gerade schon genug.