Die Schlagzeilen waren voller Euphorie: "Jeder Siebte könnte bereits immun sein", schrieb der Spiegel. "Lockerung von Einschränkungen wegen Corona möglich", titelte die FAZ. Dass all diese Schlussfolgerungen, wenn überhaupt, nur für Heinsberg – und nicht bundesweit – gegolten hätten, ging weitgehend unter. 

Nun gibt es außerdem inhaltliche Zweifel an der Studie, die zu diesen Titelzeilen geführt hat. So ist nicht sicher, ob der Test, den die Forscher benutzt haben, eine sichere Aussage über eine Infektion mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 treffen kann. Außerdem gibt es Verbindungen zwischen dem Bonner Studienleiter und dem PR-Unternehmen Storymachine, welches eine Dokumentation zur Studie selbst finanziert. Zu deren Mitbegründern zählt Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Aber der Reihe nach.

Am Donnerstagvormittag hatte ein Forschungsteam um den Virologen Hendrik Streeck von der Universität Bonn auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf erste Resultate der deutschlandweit bisher größten Studie zur Verbreitung des neuen Coronavirus vorgestellt. Im besonders stark betroffenen Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen will das Team unter anderem herausfinden, wie viele Menschen tatsächlich mit dem neuen Erreger infiziert sind oder waren.

Erst vergangene Woche hatten die Wissenschaftler die ersten Teilnehmer aus der Gemeinde Gangelt untersucht. Dort hatte sich das Virus vermutlich nach einer Karnevalssitzung Mitte Februar rasant ausgebreitet. Bereits am 9. April präsentierte Streeck nun also die ersten Zwischenergebnisse. Darin flossen Daten von etwa 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein – etwa der Hälfte der geplanten Probanden. Das kann man einem zweiseitigen Dokument (inzwischen hier zu finden) entnehmen, das auf der Homepage des Landes NRW zum Download bereitsteht. Ein wissenschaftliches Manuskript, in dem das Vorgehen der Forscher und ihre Interpretation der Ergebnisse genau beschrieben wird, ist bislang nicht veröffentlicht.

Unklar kommuniziert – vielfach missverstanden

Streecks wichtigste Aussage während der Pressekonferenz war folgende: Basierend auf Antikörpertests seien angeblich 14 Prozent der Bevölkerung seropositiv. Das heiße, sie hätten eine Infektion mit dem neuen Coronavirus durchgemacht und seien nun erst einmal immun. 

Zusammen mit weiteren zwei Prozent der Teilnehmer, die akut infiziert seien, errechneten die Forscher eine "Infektionsrate" von 15 Prozent. In der Veröffentlichung heißt es: "Dies bedeutet, dass sich 15 Prozent der Bevölkerung in Gangelt nicht mehr mit Sars-CoV-2 infizieren können, und der Prozess bis zum Erreichen einer Herdenimmunität bereits eingeleitet ist." Dieser 15-prozentige Anteil der Bevölkerung vermindere die Geschwindigkeit einer weiteren Ausbreitung von Sars-CoV-2 entsprechend. Auf Basis dieser Ergebnisse – wohlgemerkt Zwischenergebnisse – erklärte Streeck, die strengen Auflagen, um die Epidemie einzudämmen, könnten allmählich gelockert werden, sofern Hygiene- und andere Verhaltensmaßnahmen weiter befolgt würden.

Wer anschließend verfolgte, wie nach und nach Schlagzeilen entstanden, die pauschal von Lockerungen sprachen, konnte sich nur wundern. In der Pressekonferenz jedenfalls blieb weitgehend unklar, ob sich Streeck bei seiner Interpretation der Ergebnisse auf Heinsberg oder aber ganz Deutschland bezog. Von Lockerungen steht auch nichts in dem Dokument auf der NRW-Homepage. Und doch konnte man beim Lesen der Schlagzeilen den Eindruck bekommen, genau darum gehe es. Aber das ist nicht der einzige Kritikpunkt.

Mit dem Antikörpertest, so behaupten die Forscher um Streeck, habe man herausgefunden, wer bereits Antikörper gegen Sars-CoV-2 im Blut hat. Das deuten die Bonner Wissenschaftler als Beleg, dass sich das Immunsystem dieser Menschen mit genau diesem Virus auseinandergesetzt hat und die Betroffene nun immun ist. Im Dokument heißt es: "Es wurde eine bestehende Immunität von ca. 14% (anti-SARS-CoV2 IgG positiv, Spezifität der Methode >,99 %) festgestellt."

Fraglich, ob kommerzielle Tests schon so genau sind

Das Problem: Es ist höchst fraglich, ob es derzeit schon kommerzielle Tests gibt, die eine Infektion mit dem neuen Coronavirus trennscharf von einer Infektion mit anderen saisonalen Coronaviren unterscheiden können. Laut Angaben des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung sind Coronaviren für etwa ein Drittel aller Erkältungen beim Menschen verantwortlich. Vier solcher endemischen Erreger zirkulieren im Winterhalbjahr auch hierzulande. Doch all das wurde auf der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag nicht erklärt.