Mehr Kinderrechte

„Zu viele Kinder werden noch Opfer von Gewalt“

Kärnten
23.04.2024 21:24

Marie-Cécile Rouillon von der Europäischen Kommission ist Koordinatorin für Kinderrechte – mit der „Krone“ spricht sie über die Kompetenzen der EU und gemeinsame Ziele zum Wohl der Kleinsten.

„Krone“:Wie steht die Kommission zu Kinderrechten?
Marie-Cécile Rouillon: Kinderrechte sind Menschenrechte. Die Frage ist, wie wir diese Rechte gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten durchsetzen können. Dafür hat die EU-Kommission die Strategie für Kinderrechte ausgearbeitet, in der verschiedene Punkte Platz finden: Partizipation der Kinder, digitale Sicherheit, Sozialwirtschaft, Schutz vor Gewalt, etc. Es ist furchtbar zu sehen, dass Kinder regelmäßig Opfer von Mobbing und Gewalt werden. Die Situation ist wirklich schwierig, Kinder müssen die Konsequenzen von Krisen und Krieg ertragen. Die Kommission hat bereits viel getan, um Kinder vor sexuellem Missbrauch und Cyber-Kriminalität zu schützen. Jetzt liegt der Fokus auf Kinderrechten, die in unterschiedliche Bereiche sind.

Was kann man darunter verstehen?
Kinderrechte beinhalten ein breites Spektrum an Rechten, die auch noch alle miteinander verflochten sind: das Recht auf Bildung, das Recht auf Schutz, das Recht gehört zu werden, das Recht auf Gesundheit, und so weiter. Die aktuelle Situation ist je nach Land sehr unterschiedlich, sehr dezentralisiert. Deshalb müssen wir mit allen Partnern zusammenarbeiten: Manche Kompetenzen liegen auf nationaler Ebene, manche darüber, manche darunter. Wir müssen uns die Justiz-, Bildungs- und Gesundheitssysteme ansehen. Mit unseren Empfehlungen haben wir versucht, einen ganzheitlichen Blickwinkel zu wählen - wir müssen mit den Bedürfnissen der Kinder anfangen. Was wollen sie? Was wünschen sie sich? Denn viel zu oft müssen Kinder sich dem System anpassen, nicht das System sich den Kindern. Wir bemühen uns um einen ganzheitlichen Blick auf Kinderrechte.

Wie stellen Sie sicher, dass die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern gehört, beachtet und umgesetzt werden? Wie passiert der Austausch zwischen Kommission und Kindern?
Am Anfang haben wir über die eigens geschaffene „EU Children’s Participation Platform“ mehr als 1000 Kinder befragt: Was braucht ihr, um euch sicher zu fühlen? Wo fühlt ihr euch sicher – zu Hause, im Internet, in der Schule, in Vereinen, beim Ausüben von Hobbies? Was kann die EU für euch tun? Wie können wir Gewalt weiterhin gut verhindern? Es ist klar, dass Gewaltschutz mit Präventionsarbeit beginnt – und Diskrimination ist oft der Beginn von Gewalt, deshalb war es uns wichtig, die Wünsche vieler unterschiedlicher Kinder zu hören: Kinder mit Beeinträchtigungen, mit Migrationshintergrund, Kinder aus Minderheiten – zum Angehörige der LGBTQ-Bewegung oder Roma.

Ist die Plattform noch aktiv? Wie können Kinder und Jugendliche mitmachen?
Ja, natürlich – das ist eigentlich ein Hub, der Plattformen, Organisationen und Institutionen miteinander verbindet, die die Beteiligung von Kindern möglich machen, zum Beispiel Jugendräte. Jeder zwischen 8 und 18 Jahre, der sich einbringen will, muss auf einer dieser Plattformen bzw. in einer Organisation aktiv sein, auch zur Sicherheit der Kinder. Inzwischen sind mehr als 50 Plattformen aus 24 Ländern vertreten. Es ist wirklich beeindruckend, wie junge Leute sich einbringen. Sie sagen: „Keine Entscheidung, die uns betrifft, soll ohne uns fallen.“ Und das ist ihr Recht!

Wie schwer ist es, die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern zu integrieren?
Die Kinder von heute werden in 80 Jahren noch hier sein, wenn es uns alle schon längst nicht mehr gibt. Aber wir dürfen nicht vergessen: Kinder sind nicht nur die Zukunft, sondern auch die Gegenwart. Wir Erwachsenen müssen daran arbeiten, Safe Spaces für Kinder kreieren, in denen sie nicht diskriminiert werden, sondern sich entfalten können. Es ist wunderbar zu sehen, welches Wissen die Kinder haben, wie direkt sie sind und wie sie für ihre Rechte einstehen. Wir lernen von ihnen – wir können so viel von ihnen lernen! Diese Plattform zu bauen, war sehr schwierig, weil wir Kindern zwischen 8 und 18 Jahre unsere Pläne altersgerecht erklären, so, dass sie sie verstehen. Sie wollen reagieren, sie wollen mitmachen.

Zitat Icon

Was brauchen Kinder, um sich sicher zu fühlen? Wo fühlen sich Kinder sicher? Wie können wir Kinder vor Gewalt schützen? Was kann die EU für Kinder tun?

Marie-Cécile Rouillon, EU-Kommission

Mischt sich die EU in das Thema Kinderrechte ein? Ist das nicht etwas, das auf lokaler und regionaler Ebene entschieden bzw. umgesetzt wird?
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir fragen uns: Wo liegt die Kompetenz der EU? Sexueller Missbrauch von Kindern, Entführungen über Staatsgrenzen, Menschenhandel und mehr – das sind Bereiche, die in die Kompetenz der EU fallen. Und dann gibt es viele Bereiche, die bei den Mitgliedsstaaten liegen, aber bei denen wir helfen können. Wir wissen, wie unterschiedlich die Mitgliedsstaaten sind – und sie können profitieren von besserer Koordination, Schulungen und Trainings, besserem Monitoring, besserem Austausch. Wir wollen die Mitgliedsstaaten dabei unterstützen und sie können sich auf jeder Ebene auf diese Unterstützung der EU verlassen, auch in finanzieller Hinsicht. Natürlich gibt es keine „one fits all“-Lösung, aber die einzelnen Staaten können sich durch diesen Austausch Ideen anderer Staaten „abschauen“, voneinander lernen. Unser ausgearbeitetes Papier ist ein Framework aus Empfehlungen!

Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) hat die Kinderschutz-Empfehlungen für den Ausschuss der Regionen ausgearbeitet. Wie war die Zusammenarbeit?
Sehr gut! Es ist wichtig, dass der Ausschuss der Regionen dieses Thema priorisiert hat und dass Kaisers Stellungnahme einstimmig angenommen wurde – das ist ein tolles Zeichen! Der Titel sagt ja alles: Die lokalen und regionalen Akteure sollen darin gestärkt werden, Kinder zu schützen – denn das geht ja alle an. Es gibt zwar verschiedene Systeme, aber gemeinsame Herausforderungen. Für uns ist es immer eine Art von Reality Check, wenn wir mit regionalen Politikern zusammenarbeiten – daraus können wir viel lernen. In diesem Fall hat das von Anfang an sehr gut geklappt.

Laut AdR greifen Kinderrechte in alle Lebensbereiche ein und sollen deshalb über verschiedene Sektoren umgesetzt und finanziert werden – zum Beispiel in der Landwirtschaft oder durch den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+). Wie soll das gelingen?
Das ist tatsächlich kompliziert. Egal in welchem Bereich neue Projekte finanziert oder gefördert werden, die Menschen- und damit Kinderrechte sollten immer mitgedacht werden. Da braucht es einen ganz speziellen Fokus auf Kinder – die Entscheidungen liegen letztendlich aber bei den jeweiligen Verwaltungsbehörden. Wir können empfehlen, aber die Entscheidung liegt bei den Verwaltungsbehörden.

Die Europäische Kommission hat das Thema ja bereits in ihrem Arbeitspapier für 2024 angekündigt. Wie wichtig war es, diese Empfehlungen vor der EU-Wahl im Juni herauszubringen?
Sehr wichtig! Das war eines unserer Ziele für dieses Jahr und tatsächlich musste die Veröffentlichung der Empfehlung mehrere Male verschoben werden. Ich bin sehr froh, dass wir das geschafft haben.

Nun wird allerdings bald gewählt, es gibt keine Garantie, dass diese Empfehlungen nach der Wahl umgesetzt werden. Ihre Wünsche an die neue Kommission?
Die nächsten Schritte müssen sein, dass Kinderrechte noch mehr zur globalen und internationalen Priorität werden. Diese Empfehlungen sind das Vermächtnis der aktuellen Europäischen Kommission. Ich wünsche mir, dass die neue Kommission auf die bisherige gute Arbeit aufbaut.

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